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Beier HM  
Editorial: Endlich ein Fortpflanzungsmedizingesetz für Deutschland: Die Kinderwunschpaare hätten es verdient!

Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie - Journal of Reproductive Medicine and Endocrinology 2019; 16 (5): 210-211

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Endlich ein Fortpflanzungsmedizingesetz für Deutschland: Die Kinderwunschpaare ­hätten es verdient!

H. M. Beier

Eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe aus Medizinern, Ethikern, Juristen und Theologen der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina hat in sorgfältiger Arbeit über mehrere Jahre eine ausführliche Stellungnahme erarbeitet, die als Grundlage einer Petition an den Deutschen Bundestag dient, ein zeitgemäßes Fortpflanzungsmedizingesetz zu erlassen (124 Seiten mit mehreren Abbildungen und Tafeln, Halle/Saale 2019). Es sei daran erinnert, dass der Bundestag sich selbst diese Aufgabe bereits 1994 gab, als er damals durch Änderung des Grundgesetzes (Artikel 74 GG) verfügte, die drei wichtigen aktuellen medizinischen Gebiete Fortpflanzungsmedizin, Gentherapie und Transplantationsmedizin durch zeitgemäße gesetzliche Regelungen in der praktischen Medizin zu kontrollieren und zum Wohle der Patienten zu steuern.

Für Gentherapie und Transplantationsmedizin ist dies seit Langem erfolgt, jedoch existiert bis zum heutigen Tage kein zeitgemäßes Fortpflanzungs­medizingesetz. Gesetzgeber und Fachvertreter hatten sich über 30 Jahre mit dem Embryonenschutzgesetz aus dem Jahr 1990 abzufinden, sie bemühten sich, wichtige Paragrafen neu zu interpretieren und durch zivilgerichtliche Auseinandersetzungen neue Auslegungen durchzusetzen. Die Schweiz und Österreich sowie zahlreiche europäische Nachbarländer haben längst Gesetze, die für Patienten und Ärzte Rechtssicherheit gewährleisten. Der deutsche Gesetzgeber, in diesem speziellen medizinischen Fall der Bund, hat trotz jahrelanger Diskussionen und Forderungen nicht von seiner Kompetenz Gebrauch gemacht, ein umfassendes Fortpflanzungsmedizingesetz zu erlassen. Nun fordert die Leopoldina, der sich die Union der Länderakademien anschließt, die 30 Jahre alten strafrechtlichen Verbote des Embryonenschutzgesetzes durch ein in allen Aspekten zeitgemäßes Fortpflanzungsmedizingesetz zu ersetzen, in dem bürgerlich-rechtliche, familienrechtliche und sozialrechtliche Regelungen zusammengeführt werden.

Das 1990er-Embryonenschutzgesetz diente vor ­allem der strafrechtlichen Regelung der In-­vitro-Fertilisation aus der damals verständlichen Sorge, es könnten menschliche frühe Entwicklungsstadien nach der Befruchtung in großer Zahl für die em­bryologische Forschung verwendet werden. Diese Befürchtung gründete sich auf die insbesondere von Rechtsmedizinern und Moraltheologen erhobene Warnung: „In Deutschland darf nie wieder ein Mensch oder ein menschlicher Embryo für die Forschung verwendet werden“, wie in der nationalsozialistischen Zeit fatalerweise geschehen. Der Gesetzgeber machte sich diese Haltung zu eigen und verbot jegliche Forschung mit menschlichen Embryonen. Seitdem sind in Deutschland wissenschaftliche Forschungsprojekte zur Säugetier- und menschlichen Embryonalentwicklung sowie das Lehr- und Forschungsfach der wissenschaftlichen Embryologie in der Medizin an den Universitäten kaum noch zu finden.

Für die Stellungnahme der Leopoldina habe ich in der Leopoldina-Arbeitsgruppe dafür plädiert und durchgesetzt, dass der Forschungsaspekt nicht in dieses Petitum aufgenommen wurde. Vielmehr ist die Stellungnahme der Leopoldina ein Plädoyer für eine zeitgemäße Regelung und Behandlung aller Wünsche und Sorgen der Paare, die sich ein Kind wünschen.

Wo besteht dringender Reform­bedarf?

In Deutschland könnte inzwischen die IVF-Behandlung erfolgreicher und für Mutter und Kind risikoärmer sein, wenn aus einer größeren Zahl von Em­bryonen, die in vitro vorliegen, nur derjenige mit der größten erkennbaren Entwicklungspotenz auszuwählen und dann der Frau zu übertragen wäre. Diese Technik des „Elective-Single-Embryo-­Transfer“, welche risikobehaftete Mehrlingsschwangerschaften vermeidet, ist in Deutschland noch nicht erlaubt, in zahlreichen europäischen Nachbarländern hingegen üblich, weil wissenschaftlich begründet und der Vorteil für die Patienten erwiesen ist.

Die Stellungnahme spricht sich für die Zulassung der Eizellspende aus. Nach dem EScHG ist die Samenzellspende in Deutschland erlaubt, die Eizellspende verboten. Diese Ungleichbehandlung lässt sich schwerlich rechtfertigen, da heute die Eizell­entnahme durch eine Ultraschall-geleitete Punktion längst nicht mehr mit dem gleichen operativen Risiko behaftet ist wie vor 30 Jahren. Werden Keimzellen Dritter, also bei Samenzellspende wie bei Eizellspende, mit der Zustimmung der Spender und den Wunscheltern verwendet, sollten die Wunscheltern mit der Geburt des Kindes auch dessen rechtliche Eltern werden.

Es wird für ein Fortpflanzungsmedizingesetz eine klare Regelung für Spende und Empfang auch von Vorkernstadien und Embryonen gefordert. In dieser Forderung sind alle gegenwärtig überschaubaren familienrechtlichen Implikationen eingeschlossen, besonders die Wahrung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung.

Die Leopoldina-Arbeitsgruppe spricht sich für eine klare Lösung der Probleme aus, die im Zusammenhang mit der Leihmutterschaft vorliegen. Die Arbeitsgruppe fordert nicht die Zulassung der Leihmutterschaft für Deutschland, es besteht jedoch Regelungsbedarf für die im Ausland von einer Leihmutter geborenen Kinder deutscher Eltern.

Die Stellungnahme fordert eine zeitgemäße Regelung der Kryokonservierung von Eizellen und Vorkernstadien. Im Interesse der Frau, des Paares und des zukünftigen Kindes fordert die Arbeitsgruppe klare Rahmenbedingungen für die Aufbewahrung, Befruchtung und Übertragung kryokonservierter Keimzellen.

Die volle Erstattung von drei Behandlungszyklen aller gesetzlich versicherten Paare wird als angemessen bezeichnet. Die nur teilweise Erstattung der erheblichen Kosten der Behandlungen zur Erfüllung des Kinderwunsches schafft soziale Ungerechtigkeiten. Eine Beschränkung der Finanzierung bei gesetzlich versicherten Paaren auf Verheiratete sowie auf enge Altersgrenzen ist medizinisch und gesellschaftlich kaum zu rechtfertigen. Die Arbeitsgruppe der Leopoldina sieht dies unter dem ständig sich wandelnden gesellschaftlichen Verständnis von Ehe und Familie.

Wie könnten die Mitglieder des Bundestages überzeugt werden, ein Fortpflanzungsmedizingesetz zu erlassen?

Inzwischen ist die Stellungnahme der Akademie der Wissenschaften bei den Parlamentariern angekommen. Erste Diskussionen zwischen Fachexperten und Politikern und öffentliche Workshops finden statt. Das Petitum der Leopoldina-Wissenschaftler geht auf keinen Fall so weit, Maximalforderungen fortpflanzungsmedizinischer Möglichkeiten zu erheben, wie einzelne Bundestagsmitglieder bereits vorschlagen.

Es wäre ein erster Erfolg direkter Kommunikation, wenn man den Bundestag überzeugen könnte, baldmöglichst eine Enquetekommission einzusetzen, die das Ziel verfolgt, die komplexen Vorarbeiten für den Entwurf eines Fortpflanzungsmedizingesetzes zu erfüllen und die unterschiedlichen medizinischen, rechtlichen, sozialen und ethischen Aspekte in ­einem ausgewogenen Bericht für das Parlament vorzulegen. Die sorgfältig erarbeitete Stellungnahme der Leopoldina könnte einer Enquete-Kommission als Leitfaden dienen.

In jedem Fall würde ein zeitgemäßes Fortpflanzungsmedizingesetz einen Gewinn für die Patienten mit Kinderwunsch bedeuten, wenn die Fortpflanzungsmediziner im Geltungsbereich des deutschen Ge­setzes eine Behandlung durchführen dürften, die dem internationalen Stand der Wissenschaft entspräche. Evidente Risiken für Mutter und Kind, wie z. B. bei Mehrlingsschwangerschaften, würden vermieden.

Die Stellungnahme „Fortpflanzungsmedizin in Deutschland – für eine zeitgemäße Gesetzgebung“ ist von der Homepage der Leopoldina (www.­leopoldina.org) kostenlos herunterzuladen.

Korrespondenzadresse:

Prof. Dr.med. Dr.rer.nat. Henning M. Beier

Institut für Molekulare und Zelluläre Anatomie

Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät der RWTH Aachen

Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina

E-Mail: hmbeier@ukaachen.de


 
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