Krause und Pachernegg
Verlag für Medizin und Wirtschaft
Artikel   Bilder   Volltext

Mobile Version
A-  |   A  |   A+
Werbung
 
HTML-Volltext
von Otte S  
Kongressbericht: 40. ESHRE-Kongress in Amsterdam: Neuigkeiten aus der Reproduktionsmedizin

Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie - Journal of Reproductive Medicine and Endocrinology 2024; 21 (4): 192-193

Volltext (PDF)    Volltext (HTML)   





40. ESHRE-Kongress in Amsterdam:
Neuigkeiten aus der Reproduktionsmedizin

Bericht von PD Dr. med. Sören von Otte

Der diesjährige ESHRE-Kongress fand 40 Jahre nach seinem ersten Jahrestreffen in Bonn, als „40. Jubiläumskongress der ESHRE“ vom 07.–10. Juli 2024 in Amster­dam statt. PD Dr. med. Sören von Otte, Universitäres Kinderwunschzentrum Kiel, berichtet über seine persönlichen Highlights des diesjährigen Kongresses.

Bei dem 40. ESHRE-Kongress wurden u.a. neue Erkenntnisse über Progesteron bei drohender Fehlgeburt, flexibles PPOS (Progestin-Primed Ovarian Stimulation) vs. GnRH-Antagonisten-Protokoll, neue Triggervarianten zur personalisierten Ovulationsinduktion sowie das ­Thema Fertilitätsterhalt bei Endometriose diskutiert.

Progesteron bei drohender Fehlgeburt

Die Auftakt- und Keynote-Session am Montagmorgen (Session 01) fand unter dem Vorsitz von Karen Sermon, ­Belgien, und Cornelis Lambalk, Niederlande, statt. Das innerhalb von sechs Monaten nach seiner Publikation meist-zitierte Paper aus Human Reproduction war die Publi­kation zum therapeutischen Einsatz von Progesteron bei drohender Fehlgeburt („STOP-Trial“) und wurde vom Letztautor des Papers Wentao Li, Aus­tralien, vorgetragen. Li startete mit einem Überblick zur gegenwärtigen Literatur zum therapeutischen Einsatz von Progesteron bei einer drohenden Fehlgeburt. So zeigte beispielsweise ein Cochrane-­Review von 2018, dass Progesteron wahrscheinlich effektiv in der Behandlung der drohenden Fehlgeburt ist. In der PRISM-Studie von 2019 konnte die Progesteron-Gabe (2 × 400 mg/d bis 16. SSW) bei vaginaler Blutung in der Frühschwangerschaft die Lebendgeburtenrate in der Subgruppe bei Frauen mit vorangegangenen Fehlgeburten erhöhen. Bei Erstschwangerschaften war jedoch kein Effekt zu sehen. Hintergrund ist vermutlich, dass bei mehrfachen Fehlgeburten die Ursache nicht in einem abnormalen Karyotyp zu suchen ist, sondern meist eine Lutealphasen-Defizienz dahintersteckt. Der dadurch entstehende Progesteron-Mangel kann durch eine Supplementation ausgeglichen werden. 2021 wurde erneut ein Cochrane-­Review zu diesem Thema publiziert, das die Ergebnisse aus der PRISM-Studie bestätigte. Auch die eingangs erwähnte Arbeit der eigenen Arbeitsgruppe von Li, des STOP-Trials, unterstützt diese These. In der doppelblinden, placebokontrollierten Studie erhielten Frauen mit drohender Fehlgeburt 400 mg vaginales Progesteron bis Ende des ersten Trimesters. Seine Arbeitsgruppe konnte keinen therapeutischen Benefit für den Einsatz von 400 mg Progesteron in einem unselektierten Patientenkollektiv bei drohender Fehlgeburt mit Blutungsbeginn bis zum Ende der zwölften Schwangerschaftswoche demonstrieren.

Fazit für die Praxis: Die Autoren betonten jedoch, dass die Progesteron-Gabe für das Subkollektiv der Patientinnen mit wiederholten Fehlgeburten – insbesondere abhängig von der Anzahl voraus­gegangener Fehlgeburten – vorteilhaft zu sein scheint. Weitere randomisierte, kontrollierte Studien sind hierzu erforderlich.

Flexibles PPOS- vs. GnRH-Antagonisten-Protokoll

Weitere herausragende Vorträge am Montag in der Session 03 („Smarter ­strategies to optimal ovarian stimulation“) beschäftigten sich mit PPOS, also dem alternativen Einsatz von 10 mg Medroxyprogesteronacetat (MPA) zur Suppression von LH ab einer Leitfollikelgröße von 14 mm. Zhan Shi, China, stellte die eigene aktuell publizierte Arbeit vor. Es handelt sich um eine Non-Inferiorty, randomisierte, kontrollierte Studie zum Vergleich eines flexiblen PPOS- (fPPOS-) Protokolls mit dem klassischen GnRH-Antagonisten-Protokoll bei Patientinnen mit einem prognostizierten schlechten Ansprechen (Poor Response). Bei den 462 randomisierten Patientinnen konnte kein Unterschied in der Lebendgeburtenrate zwischen den beiden Protokollen festgestellt werden.

Fazit für die Praxis: Die erste RCT (single-­center) in diesem Setting deutet darauf hin, dass es im Kollektiv der „Poor Responder“ vertretbar ist, den Antagonisten durch ein Gestagen – sogar flexibel – zu ersetzen. Bisherige Studien zur Frage der Verwendung von kostengünstigen und patientenfreundlichen Gestagenen waren nicht geeignet, um Progesteron als Alternative zu einem GnRH-Antagonisten zu bestätigen.

Dual- und Double-Trigger zur personalisierten Ovulationsinduktion

Ein weiteres Highlight in diesem Jahr war die Session 11 zum Thema Dual- und Double-Trigger, die in Form eines kon­troversen „Schlagabtausches“ als Pro- und Kontra-Session zwischen ­Raoul ­Orvieto, Israel („Pro“), und Anja ­Pinborg, Däne­mark („Contra“), ausgetragen wurde. Beim konventionellen Trigger wird hCG als Surrogathormon für das natürliche LH in der Zyklusmitte verabreicht. In den letzten Jahren wurden zwei Alternativen für ein personalisiertes Vorgehen zur Ovulationsinduktion eingeführt („­tailoring the trigger“). Beim Dual-Trigger findet eine zeitgleiche Kombination von hCG und GnRH-Agonist im Antagonisten-Protokoll statt. Beim Double-­Trigger wird bewusst eine zeitversetzte Kombination aus GnRH-Agonist (40 h vor Eizellentnahme) und etwas verzögert hCG (34 h vor Entnahme) eingesetzt.

Im Fokus der Debatte standen die Effekte der Triggervarianten auf Eizellmenge und -reifegrad sowie auf das OHSS-Risiko. Der Dual-Trigger führt laut ­Orvieto nach Interpretation der eigenen, publizierten Daten zu signifikant mehr reifen Eizellen, mehr Embryonen, signifikant höherer cPR („clinical pregnancy rate“) und LBR („life birth rate“) (O-42). Die Variante des Double-Trigger wurde erstmalig 2012 bei einer Patientin in Israel angewandt, die wiederholt ein Empty-Follikel-Syndrom entwickelte. Nach Einsatz des Double-Triggers ließ sich jedoch die erwartete Menge reifer Oozyten (M2) gewinnen. Heute setzt ­Orvieto den Double-­Trigger bei allen Fällen mit vermehrt immaturen Oozyten und Patientinnen mit einer Poor Response mit gutem Erfolg ein. Die Ovulation löst er ab einer Leitfollikelgröße von 15 mm verfrüht aus und punktiert (GnRH-Agonist 40 h/hCG 34 h vor Eizellenentnahme). Für „high-responder“ empfiehlt Orvieto grundsätzlich die Alternative des Agonisten-Triggers. Für das große Kollektiv der „normal responder“ empfiehlt er dagegen den Dual-Trigger mit zeitgleicher hCG- und Agonisten-Gabe.

Anja Pinborg kritisierte in ihrer „Contra“-­Position (O-43), dass es für „normal responder“ bislang keine ausreichend große randomisierte, kontrollierte Studie zum Nachweis des Nutzens des Dual-/Double-Triggers gäbe. Neben dieser limitierten Evidenz wies sie darauf hin, dass durch den Dual-/Double-Trigger die Komplexität der Therapie zunehme, die Kosten für die Patientin höher seien und die Verwendung von hCG zusätzlich zum Agonisten das Risiko für ein OHSS erhöhen würde. Die Indikation sei daher limitiert auf spezielle Fälle wie Patientinnen mit hypogonadotropem Hypogonadismus, reduzierter ovarieller Reserve bzw. fortgeschrittenem reproduktiven Alter oder vorausgeganger schlechter Ausbeute reifer Oozyten.

Ihr Fazit lautete: Nicht „Dual trigger for all“, sondern „Dual for some“, d. h. für ein selektiertes Kollektiv an Patientinnen.

Fertilitätserhalt bei Endometriose – eine neue Indikation

Am Mittwoch ging es mit der spannenden Session zum Themenkomplex „Fertilitätserhalt bei Endometriose“ weiter. In Session 72 referierte Laurie Henry, Belgien, über Indikationen zum präventiven, fertilitätserhaltenden Vorgehen bei dieser häufigen, chronisch-progredienten Erkrankung. Die Endometriose beeinflusst wesentlich die Fertilität von Patientinnen im reproduktionsfähigen Alter. Insbesondere Endometriome und deren operative Entfernung können die ovarielle Reserve drastisch reduzieren.

Fazit für die Praxis: Fertilitätserhaltende Maßnahmen sollten vorsichtig eingesetzt werden, da internationale Leitlinien und Kosten-Nutzen-Analysen bislang fehlen. Bei Patientinnen mit bilateralen Endometriomen oder einer wiederkehrenden Erkrankung am kontralateralen Ovar, sollten allerdings Maßnahmen zum ­Fertiliätserhalt in Betracht gezogen werden.

Pietro Santulli, Frankreich, berichtete über Maßnahmen zum Fertilitätserhalt bei Endometriose (O-235). Dabei sollten sich die Maßnahmen an den Therapieoptionen bei Endometriose orientieren. In Frankreich erhalten mehr als 60 % der Patientinnen eine oder mehrere Opera­tionen. Dabei wurde in einer Meta-Analyse gezeigt, dass die AMH-Werte 12 Monate nach dem Eingriff um ca. 40–60 % reduziert sind, im Vergleich zu den Werten vor der Operation. Laut Santulli besteht die wichtigste fertilitätserhaltende Maßnahme darin, Operationen zu vermeiden und stattdessen hormonelle ­Therapien einzusetzen. Je länger Hormontherapien eingesetzt werden, desto mehr können die Patientinnen auch von einer Linderung der Schmerzsymptomatik profitieren. Hinsichtlich der fertilitätserhaltenden Maßnahmen existieren die besten Daten für eine ovarielle Stimulation mit anschließender Oozyten-Vitrifizierung. Dabei scheint das Alter eine wichtige Einflussgröße zu sein. Bei Patientinnen über 35 Jahren sinkt die Wahrscheinlichkeit für eine Lebendgeburt deutlich. Im Zusammenhang mit der ovariellen Stimulation wurden einige Risiken diskutiert. Zusammenfassend lässt sich aber sagen, dass Studien keine erhöhte Schmerzsymptomatik während der Stimulation gezeigt haben, die Endometriose in der Regel keine fortschreitende Erkrankung ist (insbesondere bei Amenorrhoe) und das Risiko für Infektionen gering ist. Eine antibiotische Prophylaxe ist jedoch zu empfehlen. Bei Fällen mit großen Endometriomen kann eine transvaginale Aspiration in Betracht gezogen werden.

Fazit für die Praxis: In der modernen Endometriose-Therapie sollte die medikamentöse Therapie Vorrang vor dem Einsatz von Operationen haben. Wenn fertilitätserhaltende Maßnahmen eingesetzt werden, ist die ovarielle Stimulation mit Oozyten-Vitrifizierung eine sichere und gut wirksame Maßnahme.

Unerwartet und überraschend wurden jedoch in der späten Vormittagssession gegen 11:30 Uhr alle Vorträge im Konferenzzentrum abgebrochen, da eine verdächtige Tasche gefunden wurde. Bei dem nachfolgenden Großeinsatz der Polizeikräfte wurden alle weiteren Vorträge am Mittwochnachmittag abgesagt. Auch der zweite Teil der PPOS-Session, „­Smarter strategies to optimal ovarian stimulation, Part 2“ zum Einsatz von Gestagenen bei dualer Stimulation im gleichen Zyklus, bei Eizellspende oder mittels Dehydrogesteron fand leider nicht mehr statt.

Somit endete die 40. ESHRE leider ­unerwartet und verfrüht – jedoch können die gehaltenen Beiträge in der ESHRE-Mediathek (https://www.eshre.eu/ESHRE2024/) auch längerfristig abgerufen werden. Unter hormspz.de/eshre2024 können Sie den vollständigen Kongressbericht lesen.

Fazit

Die Keynote-Session mit der Vorstellung des meist-zitierten Papers von McLindon et al. aus Human Reproduction zeigt, dass zum Thema des therapeutischen Einsatzes von Progesteron bei Fehlgeburten weiterhin großer Diskussionsbedarf besteht und weitere klärende Studien dringend benötigt werden.

Trotz des vorzeitigen Abbruchs war auch der diesjährige ESHRE-Kongress wieder ein herausragender reproduktionsmedizinischer Kongress. Mit Spannung erwartet wird bereits das nächste ESHRE-Jahrestreffen, welches vom 29.6.–2.7.2025 in Paris stattfinden wird.

Autor:

PD Dr. med Sören von Otte

Ambulanzzentrum des UKSH gGmbH

Universitäres MVZ Kiel für Spezial­diagnostik und genetische Medizin

Arnold-Heller-Straße 3, Haus C

D-24105 Kiel

Weitere Informationen und verantwortlich für den Inhalt:

Besins Healthcare Germany GmbH

Mariendorfer Damm 3

D-12099 Berlin

www.besins-healthcare.de


 
copyright © 2000–2025 Krause & Pachernegg GmbH | Sitemap | Datenschutz | Impressum
 
Werbung