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Thorn P  
BKiD-Positionspapier zu Eizellgabe in Deutschland // BKiD-Position paper on egg donation in Germany

Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie - Journal of Reproductive Medicine and Endocrinology 2022; 19 (3): 135-139

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Keywords: DeutschlandEizellgabe

BKiD-Positionspapier zu Eizellgabe in Deutschland

P. Thorn

Eingegangen am 18. März 2022; angenommen nach Revision am 25. Mai 2022 (verantwortliche Rubrik-Herausgeber: H. Kentenich, Berlin und J. Taupitz, Mannheim)

Korrespondenzadresse: Dr. Petra Thorn (für den Vorstand der BKiD), D-64546 Mörfelden, Langener Straße 37: E-Mail: mail@pthorn.de

Seit über 20 Jahren wird eine Aktualisierung des Embryonenschutzgesetzes gefordert. Unter anderem soll dies dazu führen, dass medizinische Fachkräfte nach dem internationalen Stand der Wissenschaft behandeln können und die reproduktive Autonomie respektiert sowie Ungleichheiten bei dem Zugang zur Behandlung abgeschafft werden. Die Zulassung der Eizellspende ist dabei eines der zentralen Themen. Da hierzu mittlerweile neue Erkenntnisse vorliegen, hat sich auch die Deutsche Gesellschaft für Kinderwunschberatung – BKiD (Beratungsnetzwerk Kinderwunsch Deutschland) damit auseinandergesetzt und ein Positionspapier verabschiedet, das sich für eine regulierte Zulassung ausspricht.

Schlüsselwörter: Eizellspende, Embryonenschutzgesetz, Kinderwunschberatung, Fortpflanzungsmedizingesetz

BKiD-Position paper on egg donation in Germany. For over 20 years, there have been calls for an update of the German Embryo Protection Act. Among other things, this should enable medical professionals to carry out treatment according to international scientific standards, it should respect reproductive autonomy and address inequalities in access to treatment. The approval of egg donation is one of the central issues in these debates. Since there are new scientific data, the German Society for Fertility Counselling (BKiD) has also addressed this issue and adopted a position paper that advocates regulated approval. J Reproduktionsmed Endokrinol 2022; 19 (3): 135–9.

Key words: oocyte donation, embryo protection act, infertility counselling, legal changes

Einleitung

Seit über 20 Jahren wird eine Aktualisierung des Embryonenschutzgesetzes gefordert (u. a. [1–3]). Wichtig ist dies, um medizinische Fachkräfte nicht daran zu hindern, Behandlungen nach dem internationalen Stand der Wissenschaft durchzuführen. So wird u. a. gefordert, den „elektiven Single Embryo Transfer“ zuzulassen, damit die hohe Mehrlingsrate eingedämmt werden kann. Ein weiterer Diskussionsstrang befasst sich mit dem Themenbereich der reproduktiven Autonomie und Ungleichheiten beim Zugang zu Behandlungsmöglichkeiten. In diesem Rahmen wird u. a. eine regulierte Zulassung der Eizellspende gefordert, die das Wohl aller Beteiligten respektiert. Nach intensiver Diskussion spricht sich auch die Deutsche Gesellschaft für Kinderwunschberatung (BKiD) für die Zulassung der Eizellgabe1 aus.

1Da die Begrifflichkeiten in diesem Feld oft kontro­vers diskutiert werden und bei allen auch miss­verständliche Konnotationen mitschwingen (z. B. Eizellspende, Eizellgabe, Familienbildung mithilfe Dritter, Embryonenspende/oder -adoption, Leihmutterschaft, Schwangerschaftsspende; genetische, biologische und/oder soziale Eltern; Wunscheltern, Betroffene; Kinderwunschzentrum, Zentrum für Reproduktionsmedizin; Zentrum für Kinderwunschbehandlung) werden im Folgenden folgende eher neutralen Begrifflichkeiten verwendet: Familienbildung mit Eizellen Anderer (für „Eizellspende“), Eizellgeberin (für „Spenderin“ und „genetische Mutter“), Eizellempfängerin (für „Wunschmutter“ und „austragende Mutter“), ­Zentrum für assistierte Reproduktion (für „Kinderwunschzentrum“). Bei „Samenspende“ wurde der etablierte Begriff weiterverwendet.

Kontroverse Diskussionen

Bei der Eizellgabe wird die Eizelle einer Frau in vitro befruchtet und einer zweiten Frau eingesetzt. Vor Inkrafttreten des ESchG (Embryonenschutzgesetz) wurde dies sehr kontrovers diskutiert und die Eizellgabe wurde aus mehreren Gründen unter Verbot gestellt:

1. Es wurde befürchtet, dass die „gespaltene“ Mutterschaft das Kindeswohl gefährde, dass also Kinder in ihrer Identitätsentwicklung aufgrund des Vorhandenseins einer „genetischen“ und einer „sozialen Mutter“ beeinträchtigt werden.

2. Ähnliches wurde bei der Spenderin vermutet: Auch sie könne sich als Mutter empfinden, müsse jedoch akzeptieren, dass sie die Eizelle, aus der „ihr“ Kind entstanden ist, abgegeben habe.

3. Der medizinische Eingriff wurde für die Spenderin als invasiv beschrieben und es wurde kritisiert, dass sie sich diesem uneigennützig unterzieht.

4. Letztendlich wurde auch befürchtet, dass sich junge Frauen überwiegend aus finanziellen Gründen zur Spende ihrer Eizellen bereit erklären und dass diese Gefahr laufen, ausgebeutet zu werden.

Aktuelle Studienlage

Mittlerweile liegen zahlreiche wissenschaftliche Studien vor, die sowohl die kindliche und familiäre Entwicklung als auch die Erfahrungen der Spenderinnen untersuchten.

Nach derzeitiger Studienlage stellt die sogenannte „gespaltene“ Mutterschaft keine Gefährdung für die Entwicklung des Kindes oder für die Spenderin dar. ­Golombok und ihre Arbeitsgruppe zeigten in zahlreichen Studien, dass sich Kinder nach Eizellspende unauffällig entwickeln und die Familiendynamik ebenfalls unauffällig verläuft (siehe z. B. [4]). Wichtig zu wissen ist allerdings, dass eine gespaltene Elternschaft (nach Samen-, Eizell- und Embryonenspende) durchaus mit Identitätsbrüchen einhergehen und auch zu Vertrauensverlusten zwischen Kind und Eltern führen kann, wenn Kinder erst spät (nach dem Kindergartenalter), unvorbereitet oder von Dritten von ihrer Zeugungsgeschichte erfahren. Deswegen wird Eltern mittlerweile empfohlen, Kinder nach Familienbildung mithilfe Dritter frühzeitig über ihre Zeugungsgeschichte aufzuklären und dies in der Familie immer wieder zu thematisieren.

Ein weiterer zentraler Punkt für so gezeugte Menschen ist das Recht auf Kenntnis ihrer Abstammung. Dies wurde in den Diskussionen, die zum ESchG führten, nicht thematisiert. Damals war es üblich, dass Samenspender anonym blieben. Nach zahlreichen Urteilen in den 2010er-Jahren trat das SaRegG (Samenspenderregistergesetz) 2018 in Kraft und räumte allen Menschen, die mithilfe gespendeten Samens gezeugt sind, das Recht ein, die Identität des Spenders zu erfahren. Dieses Recht auf Kenntnis der Abstammung ist nicht für alle Menschen wichtig, es ist jedoch von zentraler Bedeutung, dass diejenigen es umsetzen können, die sich für ihre biologischen Wurzeln interessieren – unabhängig, ob ihre Zeugung auf gespendeten Samen, gespendete Eizellen oder gespendete Embryonen zurückzuführen ist.

Auch die Vermutung, dass Spenderinnen in ihrer Rolle eine Verunsicherung erleben, konnte mittlerweile durch Studien widerlegt werden. Cordier et al. zeigen auf, dass Frauen nicht bedauern, ihre Eizellen gespendet zu haben und dass ca. 89 % dies wiederholen würden [5]. Über 70 % hatten die Unterstützung ihres Partners bzw. ihrer Familie. Spenderinnen sehen sich durchaus als genetische Erzeugerin des Kindes, nicht jedoch in einer Mutterrolle gegenüber dem Kind [4].

Mittlerweile ist bekannt, dass Schwangerschaften nach Eizellspende mit einem erhöhten Hypertonie-Risiko verbunden sind. So zeigen zwei Meta-Studien [6, 7], dass die sog. „hypertensive Schwangerschaftserkrankung“ bei ca. 22 % liegen kann. Die betreuenden Gynäkologen sollten daher über die vorherige Eizellspende informiert sein und eine entsprechend engmaschige Betreuung durchführen.

Frauen, die Eizellen spenden, gehen ebenfalls medizinische Risiken ein. Sie werden hormonell stimuliert, was zu einer Überstimulation führen kann, die Eizellen werden transvaginal entnommen, so dass es zu Verletzungen kommen kann. Das Risiko einer Überstimulation ist allerdings niedrig und liegt aktuell bei ca. 0,5 %, schwere Komplikationen treten in ca. 0,4 % der Fälle auf [8]. Nach bis­herigem Wissensstand sind keine langfristigen gesundheitlichen Risiken bekannt. Bei der Frage, ob und inwieweit Frauen über Eingriffe in ihren eigenen Körper entscheiden können, stellt sich die Frage, ob ein grundsätzliches Verbot einem medizinischen Paternalismus gleichkommt und damit abzulehnen wäre [9]. Erforderlich ist eine umfassende medizinische und psychosoziale Beratung, so dass Frauen über alle kurz- und langfristigen Folgen aufgeklärt sind. Unter dieser Voraussetzung sollten Frauen durchaus entscheiden dürfen, ob sie bereit sind, Risiken in Kauf nehmen, um Dritte in ihrer Familienbildung zu unterstützen.

Befürchtungen hinsichtlich einer Kommerzialisierung und der Ausbeutung junger Frauen kann durch entsprechende rechtliche Regelungen entgegengewirkt werden. So ist beispielsweise die finanzielle Kompensation in Großbritannien (max. GB Pound 750) (https://www.hfea.gov.uk/donation/donors/donating-your-eggs/) und in Finnland („reasonable expenses“, idR. € 300, zzgl. Erstattung von Ausgaben bis ca. € 600) (https://www.finlex.fi/fi/laki/kaannokset/2006/en20061237.pdf) gedeckelt.

Entwicklungen

In den vergangenen Jahren haben europäischen Behandlungszahlen mit Eizellspende zugenommen. Waren es 2014 noch ca. 56.000 Patientinnen [10], wurden zwei Jahre später bereits über 74.000 Behandlungszyklen durchgeführt [11]. Es wird vermutet, dass in Deutschland zwischen 1000 und 3000 Frauen jährlich eine Eizellspende im Ausland durchführen, belastbare Zahlen liegen jedoch nicht vor [1]. In der psychosozialen Kinderwunschberatung ist die Familienbildung mit Eizellen Dritter ein immer häufiger genanntes Beratungsanliegen. Eine Erhebung unter Beratungsfachkräften im zweiten Halbjahr 2019 zeigt auf, dass sich knapp 50 % aller Beratungsanliegen auf Behandlungen mithilfe Dritter bezogen, in ca. 5 % auf eine Behandlung mit Eizellen Dritter [12]. Es kann davon ausgegangen werden, dass auch diese Zahl in den letzten Jahren angestiegen ist.

Diese aktuellen Diskussionen, neue Erkenntnisse und auch die Entwicklung in der Inanspruchnahme Eizellen Dritter, gekoppelt mit den geplanten Änderungen im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung [13], führte bei BKiD dazu, dass sich die Gesellschaft in einem längeren Diskussionsprozess mit der Haltung gegenüber dieser Form der Familienbildung auseinandersetzte und das folgende Positionspapier entwickelte und verabschiedete.

BKiD-Positionspapier zu ­Eizellgabe in Deutschland

Präambel

Die Deutsche Gesellschaft für Kinderwunschberatung – BKiD (Beratungsnetzwerk Kinderwunsch Deutschland) ist der Fachverband für psychosoziale Kinderwunschberatung. BKiD führt Fort- und Weiterbildungen durch und zertifiziert Beratungsfachkräfte für diese Beratung. Als Fachverband setzt sich BKiD für die Notwendigkeit der psychosozialen Beratung bei Fertilitätsstörungen und Kinderwunsch, der Forschung zum Thema und der Öffentlichkeitsarbeit auf dem Gebiet des (unerfüllten) Kinderwunsches ein.

Die öffentlich vermehrt geführten politischen Diskussionen um die Zulassung der Eizellspende (im Folgenden: Familienbildung mit den Eizellen Anderer) in Deutschland veranlassen BKiD als Fachverband für die psychosoziale Kinderwunschberatung, sich zu diesem Thema zu positionieren. Dies bezieht sich vor allem auf die mögliche Zulassung der Familienbildung mit Eizellen Anderer, deren psychosozialen Aspekte und die dann notwendige rechtliche Regelung der Rahmenbedingungen.

Die individuellen Haltungen der einzelnen BKiD-Beratungsfachkräfte zur Zulassung der Eizellspende sind durchaus unterschiedlich. Einig sind sie sich jedoch darin, dass, wie auch in der Stellungnahme der Leopoldina empfohlen [1], die psychosoziale Beratung auch für in Deutschland unter Strafe stehende Behandlungen straffrei durchgeführt werden sollte. Eine allparteiliche und ergebnisoffene psychosoziale Beratung kann dazu beitragen, die Komplexität dieser Familienbildung zu verdeutlichen und zu würdigen, die Wunscheltern für die (noch zu entwickelnden) gesetzlichen Vorgaben der Familienbildung zu sensibilisieren und das Wohl aller Beteiligten, vor allem das des (potenziellen) Kindes, bestmöglich sicherzustellen. Die Mehrheit der Beratungsfachkra?fte spricht sich für eine Zulassung der Familienbildung mit Eizellen Anderer unter bestimmten Bedingungen aus, eine Minderheit ist gegen die Zulassung dieser Form der Familienbildung.

Erfahrungen aus der psychosozialen Kinderwunsch-Beratung­Status quo

Unsere Beratungserfahrung zeigt deutlich, dass die Möglichkeit der Familienbildung mit den Eizellen Anderer von immer mehr in Deutschland lebenden Paaren im Ausland wahrgenommen wird. Gemäß einer Umfrage unter Beratungsfachkräften von BKiD hatten im 2. Halbjahr 2019 knapp 50 % aller Kinderwunschberatungen eine Form der Familienbildung mithilfe Anderer zum Inhalt, bei ca. 5 % war dies eine Behandlung mit Eizellen Anderer im Ausland [12].

In vielen Ländern wird bei der Eizellgabe das Wohl aller Beteiligten (insb. Kindeswohl, Wohl der Eizellgeberin) nach der bisherigen Studienlage nicht ausreichend berücksichtigt. So ist z. B. das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung in vielen Ländern nicht garantiert und es besteht die Gefahr, dass mögliche sozioökonomische Notlagen der Eizellgeberinnen ausgenutzt werden. Nicht wenige Personen mit Kinderwunsch führen eine Behandlung im Ausland durch, ohne sich dieser Umstände bewusst zu sein. Hinzu kommt, dass diese Menschen aufgrund des gesetzlichen Verbotes vor einer Familienbildung mit den Eizellen Anderer aktuell nicht umfassend beraten werden können und auf beiden Seiten (Ratsuchen­de und Beratungsfachkräfte) Verunsicherung ob der Zulässigkeit einer solchen Beratung besteht.

Deshalb sieht BKiD die Notwendigkeit, die psychosoziale Beratung für die unter Strafe stehende Familienbildung mit Eizellen Anderer in Deutschland zukünftig straffrei durchführen zu können. Personen mit Kinderwunsch wird somit die Möglichkeit gegeben, sich über die Familienbildung mit den Eizellen Anderer umfassend zu informieren, dies kritisch zu reflektieren und eine Haltung dazu zu entwickeln. Diese Beratung sollte wertschätzend und ergebnisoffen sein, um genau diese Ziele zu gewährleisten.

Zu einer möglichen Zulassung der Familienbildung mit Eizellen Anderer in Deutschland

BKiD spricht sich mehrheitlich dafür aus, die Familienbildung mit Eizellen Anderer unter bestimmten Voraussetzungen und regulierten Bedingungen auch in Deutschland zuzulassen.

Begründung: Es kann als ein nicht zulässiger Eingriff in die Fortpflanzungsautonomie gesehen werden, bestimmte im Ausland zugängliche Methoden in Deutschland unter Strafe zu stellen und damit reproduktive Rechte einzuschränken, sofern die Bedürfnisse aller Beteiligten angemessen berücksichtigt worden sind [14]. Die reproduktiven Rechte einer Frau mit Kinderwunsch, die über keine verwendbaren Eizellen verfügt, sind aber durch das Recht auf körperliche Unversehrtheit der Eizellgeberin potenziell eingeschränkt [9].

Da sich die Familienbildung mit den Eizellen Anderer hinsichtlich der Invasivität der konkreten Vorgehensweise deutlich von der Samenspende unterscheidet und mit mehr Risiken für die Frau, die ihre Eizellen abgibt [9], verbunden ist, muss sichergestellt sein, dass die Eizellgabe, wie auch die Samenspende, freiwillig und ohne emotionalen Druck sowie nach umfassender Aufklärung und ausreichender Bedenkzeit erfolgt. Bei der Familienbildung mit Eizellen Anderer handelt es sich nicht um eine weitere Behandlungstechnik der assistierten Reproduktion – wie die In-vitro-Fertilisation oder die Intracytoplasmatische Spermieninjektion –, sondern um eine psychosozial und ethisch komplexe Form der Familienbildung, welche eine behandlungsunabha?ngige psychosoziale Beratung unumgänglich macht.

Aus beraterischer Sicht bietet jede neu hinzukommende reproduktionsmedizinische Option den betroffenen Individuen bzw. Paaren eine weitere Chance, den „Traum vom eigenen Kind“ doch noch zu erfüllen. Kein reproduktionsmedizinisches Verfahren kann jedoch eine 100-%-Garantie auf die Verwirklichung des Kinderwunsches geben und bei vielen dieser Optionen ist die Erfolglosigkeit sogar der wahrscheinlichere Ausgang. Aus beraterischer Sicht wäre mit der Einführung der Familienbildung mit Eizellen Anderer in Deutschland das Risiko verbunden, dass die Auseinandersetzung der betroffenen Individuen bzw. Paare mit einem möglicherweise notwendigen „Plan B“ (Adoption, Pflegekind oder ein Leben ohne Kind) aufschieben und ein eventuell erforderlicher Trauerprozess unnötig hinausgezögert und erschwert werden würde [15]. Die „Eigendynamik der Reproduktionsmedizin“, wie sie von sehr vielen Individuen bzw. Paaren in psychosozialer Kinderwunschberatung benannt wird („Nur noch ein einziger Versuch!“), würde dadurch voraussichtlich noch verstärkt werden. Die reproduktive Phase der Frau kann durch die Familienbildung mit Eizellen Anderer um Jahrzehnte verlängert werden (die älteste bekannte Mutter in Deutschland nach assistierter Reproduktion war bei der Geburt 65 Jahre alt [16]).

Im Rahmen der psychosozialen Beratung beim Anliegen „Familienbildung mit Eizellen Anderer“ sollte daher auch das Thema „soziale Elternschaft“ angesprochen werden, also die Möglichkeit der Aufnahme eines Adoptiv- oder Pflegekindes. Diese setzt jedoch den Abschied vom Lebenswunsch „leibliche Elternschaft“ voraus, zumal eine Entscheidung zur Adop­tion oder Pflegschaft den Ausschluss der Option der assistierten Reproduktion bedeutet. „Abschied“ meint die Verarbeitung und Integration des Sehnsuchtsziels der leiblichen Elternschaft in das eigene Leben. Die Aus­einandersetzung mit den Chancen und Herausforderungen der sozialen Elternschaft für ein bereits geborenes Kind, das nicht bei seinen leiblichen Eltern aufwachsen kann, kann Paaren einen Perspektivwechsel anbieten und sie können prüfen, ob dies eine Alternative ist. Da die Zahl der zu vermittelnden Adoptivkinder jedoch stetig sinkt und u. a. das Alter der aufnehmenden Eltern ein relevanter Aspekt ist, kann hier zeitlicher Druck entstehen. Gleichzeitig gibt es einen ständig zunehmenden Bedarf an Pflegeeltern, die bereit sind, ein Kind im Rahmen der Jugendhilfe bei sich aufzunehmen. Diesen Bedarf gilt es auf dem Hintergrund des Kinderwunsches des Paares zu betrachten, die ein Kind auf Dauer aufnehmen und als Familie leben möchten. Hier ist eine sorgfältige Überprüfung der Möglichkeiten und Grenzen erforderlich, die von den zuständigen Adoptionsvermittlungsstellen vorgenom­men wird.

Aus der Kinderwunschberatung ist bekannt, dass die meisten Frauen und Männer ihre Familienbildung zunächst möglichst mit den eigenen Gameten gestalten möchten. Bei der Einführung der Familienbildung mit Eizellen Anderer wäre also davon auszugehen, dass – ­außer bei jungen Frauen mit eindeutigen medizinischen Indikationen – Frauen erst bei (­nahezu) aussichtloser Schwangerschaftswahrscheinlichkeit mit den ­eigenen Eizellen dann auf die Familienbildung mit Eizellen Anderer zurückgreifen würden, also erst ab ihrem 40. Lebensjahr (X¯ = 44,2 J. in der Studie von Altmann et al. 2021 [16]; ggf. noch später). Damit wären viele Schwangerschaften nach Eizellgabe aufgrund des erhöhten mütterlichen Alters mit einem hohen mütterlichen und embryonalen Risiko (wie Bluthochdruck in der Schwangerschaft, Frühgeburt, Kaiserschnitt und vermehrte peripartale Blutungen) verbunden [16].

Aufseiten der Frauen, die über eine Abgabe ihrer Eizellen nachdenken, sollten finanzielle Anreize nicht ausschlaggebend sein, eine Kommerzialisierung sollte weltweit – wie in der EU – verboten sein. Auch aus Kindeswohlaspekten ist eine Kommerzialisierung abzulehnen: Kinder dürfen nicht Gefahr laufen, das Ergebnis einer finanziellen Transaktion zu sein, sondern sollten auf Basis von Freiwilligkeit und Altruismus gezeugt sein. Der Eizellgeberin kann jedoch (analog zur Samenspende) eine angemessene Entschädigung für ihren zeitlichen Aufwand, ihren körperlichen Einsatz und für die mit der Hormonstimulation und Follikelpunktion einhergehenden Risiken gezahlt werden.

Rahmenbedingungen einer möglichen Zulassung der Familienbildung mit Eizellen Anderer

Das Wohl des Kindes ist bei der Ausgestaltung der Rahmenbedingungen uneingeschränkt in den Mittelpunkt zu stellen. Insbesondere das Auskunftsrecht des so gezeugten Kindes ist sicherzustellen.

Im Einzelnen spricht sich BKiD für folgende Bedingungen aus, um die oben genannten Punkte bei einer Zulassung der Familienbildung mit Eizellen Anderer in Deutschland umzusetzen:

Personen mit Kinderwunsch, die sich mit dieser Form der Familienbildung aus­einandersetzen, sollten niedrigschwellig (z. B. auf der Seite www.familienplanung.de) alle wesentlichen Informationen dazu zur Verfügung gestellt werden, auch in leichter Sprache. Es sollten auch psychologische, medizinische, (familien-) rechtliche und ethische Aspekte dieser Form der Familienbildung leicht zugänglich gemacht werden (z. B. Besonderheiten der Familienbildung mit Gameten Anderer, Kindesentwicklung nach Eizellgabe, Aufklärung der Kinder, Bedeutung von Halbgeschwistern, ­Chancen und Risiken später Elternschaft etc.). Zu diesen Informationen gehören auch eine Auflistung der Vor- und Nachteile aller Formen der Familienbildung mit den Eizellen Anderer (z. B. Anonymität der Eizellgeberin vs. ihre Identifizierbarkeit, kommerzielle vs. nicht-kommerzielle Vermittlung usw., Information über das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung) sowie alternative Perspektiven (Adoption, Pflegschaft, Leben ohne Kind) einschließlich der Darstellung der kurz- und langfristigen Implikationen für alle Beteiligten.

Die Zentren für assistierte Reproduktion sollten verpflichtet werden, auf das Angebot und den Wert einer behandlungsunabhängigen psychosozia­len Beratung für die Eizellgeberin und die Personen mit Kinderwunsch hinzuweisen. Die Beratung sollte zu jeder Zeit (vor, während, nach Behandlung, auch nach Geburt des Kindes und im weiteren Verlaufe des Familienlebens) ohne Einschränkung, durch hierfür qualifizierte Beratungsfachkra?fte zur Verfügung ­stehen. Die medizinische und psycho­soziale Beratung sollte die Empfehlungen der ESHRE-Working Group on Repro­ductive Donation berücksichtigen [17].

Die Familienbildung mit Eizellen Anderer stellt für das Kind eine zusätzliche Entwicklungsaufgabe dar. Daher sollen die Personen mit Kinderwunsch zur Wichtigkeit der Bedeutung der frühzeitigen Aufklärung des Kindes über seine Zeugungsgeschichte beraten werden. Die Beratung soll ihnen aufzeigen, dass das Kind ein Recht auf Kenntnis seiner Abstammung hat, welche Bedeutung genetische Wurzeln haben können und wie und wann mit einem Kind entwicklungspsychologisch angemessen über die Zeugungsgeschichte gesprochen werden kann. Eine frühzeitige Aufklärung, ein souveräner Umgang der Eltern mit der Zeugungsgeschichte und eine Begleitungsangebot bei Kontakt zur Eizellgeberin ermöglichen dem Kind eine stabile Entwicklung seiner Identität (z. B. [4, 18]). Personen mit Kinderwunsch sollten in der psychosozialen Beratung auch vorbereitet werden anzuerkennen und zu akzeptieren, dass das Kind mit der Eizellgeberin einen anderen Menschen als genetische Herkunft mit jeweils eigener Bedeutung hat, den es ggf. persönlich kennenlernen möchte, ebenso wie Halbgeschwister.

Die Eizellgeberin (und ihre Familie) soll ebenfalls darüber informiert werden, dass Kinder aus ihrer Eizellgabe ein Recht auf Kenntnis ihrer Abstammung haben und sie dieses Recht ggf. umsetzen also Kontakt zur Eizellgeberin suchen können. Darüber hinaus haben viele Kinder auch Interesse daran, Halbgeschwister kennenzulernen, wozu auch die biologischen Kinder der Eizellgeberin gehören, die sie selbst erzieht. Somit stellt sich auch die Frage der Aufklärung ihrer eigenen Kinder bzw. ihrer Familie.

Bei einer intrafamilia?ren Eizellgabe (z. B. von Schwester zu Schwester) sollte die Beratung mögliche Herausforderungen und Konflikte aufgreifen. Es hat sich als hilfreich erwiesen, dabei auch so genannte „Worst-case“-Szenarien durchzusprechen (z. B. Rollenkonflikte zwischen Eizellgeberin und Wunschmutter, z. B. Wunsch der Eizellgeberin nach Erziehungsgestaltung, eigene Familiengru?ndung der Eizellgeberin und Rolle der Halbgeschwister, Kind akzeptiert ursprünglich geplante Rollenverteilung nicht etc.; Fruchtbarkeitsstörung der Eizellgeberin nach der Eizellgabe) [18].

Auch bei der Verwendung überzähliger Eizellen aus abgeschlossenen Behandlungen assistierter Reproduktion oder nach „social freezing“- Behandlungen ist auf psychosoziale Beratung hinzuweisen.

Die Eizellgeberin soll umfassend über alle Risiken und Nebenwirkungen des medizinischen Eingriffs aufgeklärt und körperlich und psychisch in der Lage sein, ihre informierte Zustimmung zu geben. Die Stimulation und die Zahl der Behandlungszyklen müssen so beschaffen sein, dass die Risiken für die Eizellgeberin möglichst gering sind. Die Nachbehandlung bei möglichen Folge­erkrankungen (Überstimulationssyndrom o. ä.) muss für die Eizellgeberin kostenfrei erfolgen. Es muss sichergestellt werden, dass die Eizellgeberin gesund ist, so dass eine risikoarme Übertragung der Eizellen auf die Wunschmutter möglich ist und keine vorhersehbaren gesundheitlichen Risiken für das zu zeugende Kind entstehen. Hierfür sollte ein Höchstalter für Frauen, die Eizellen abgeben, festgelegt werden. Eizellgeberinnen sollten krankenversichert sein.

Die Zahl der durch diese Form der Familienbildung entstandenen Kinder sollte limitiert werden, um das Gesundheits­risiko für die Eizellgeberin zu minimieren und die Zahl potenzieller Halbgeschwister zu begrenzen. Unterhalb dieser Grenze sollte die Eizellgeberin (und ihr/e Partner/in) individuell die maximale Zahl der mit ihrer Eizellgabe gezeugten Kinder festlegen können. Hierfür ist eine zentrale Erfassung erforderlich (analog dem SaRegG). Die Höhe der Aufwandsentschädigungen sollte für alle Beteiligten einer Familienbildung mit den Eizellen Anderer von Anbeginn transparent sein.

Schwangerschaften nach Eizellgabe sind u. a. aufgrund des (meist) erhöhten mütterlichen Alters mit Risiken für Mutter und Kind verbunden. Über diese Risiken müssen Frauen (und ihre Partner/innen) vor Familienbildung mit Eizellen Anderer verbindlich aufgeklärt werden. Auch in der psychosozialen Beratung soll die Thematik der „späten Elternschaft“ aufgegriffen werden [19]. Hierfür sollte ein Höchstalter für Frauen, die Eizellen annehmen, festgelegt werden.

Angestellte, Inhaberinnen oder anderweitige Personen von Zentren für assistierte Reproduktion, die ein finanzielles Interesse an der Klinik haben, sollen als Eizellgeberin nicht zugelassen werden [20].

Das Recht des Kindes auf Wissen um seine genetische Abstammung ist analog der Samenspende in einem Abstammungsregister entsprechend den Vorgaben des SaRegG zu sichern. Bei Umsetzung des Auskunftsrechts ist eine niedrigschwellige begleitende psychosoziale Beratung für alle Beteiligten anzubieten.

Es ist erforderlich, dass bei einer Einführung der Familiengründung mit den Eizellen Anderer in Deutschland begleitende wissenschaftliche Forschung (medizinische und psychosoziale) gewährleistet ist.

Diese Empfehlungen basieren auf den u. a. Literaturangaben sowie auf:

An dieser Stellungnahme haben mitgewirkt: Annette Tretzel, Petra Thorn, ­Judith Zimmermann, Eva Gierling, ­Ildiko Balint, Kerstin Giesa, Doris ­Wallraff, ­Susanne Quitmann, Tewes Wischmann, Veronika Wittgen, Bettina Klenke-­Lüders.

Informationen über Verfahren und Ablauf der Konsensusbildung sind auf Wunsch bei der Arbeitsgruppe erhältlich (über E-Mail: vorstand@bkid.de).

© BKiD 2022

Interessenkonflikt

Die Autorin ist 2. Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Kinderwunsch­beratung – BKiD.

Literatur:

1. Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, Union der deutschen Akademien der Wissenschaften (Hg). Fortpflanzungs­medizin in Deutschland – für eine zeitgemäße Gesetzgebung. Halle (Saale), 2019. https://www.leopoldina.org/uploads/tx_leopublication/2019_Stellungnahme_Fortpflanzungsmedizin_web_01.pdf.

2. Gassner U, et al. Fortpflanzungsmedizingesetz – Augsburg-Münchner-Entwurf. Mohr Siebeck, Tübingen, 2013.

3. Bundesministerium für Gesundheit. Fortpflanzungsmedizin in Deutschland – Wissenschaftliches Symposium des Bundes­ministeriums für Gesundheit in Zusammenarbeit mit dem Robert-Koch-Institut vom 24. bis 26. Mai 2000 in Berlin. Nomos, Baden Baden, 2001.

4. Golombok S. Modern Families. Parents and children in new family forms. Cambridge University Press, Cambridge, 2015.

5. Cordier C, et al. Views of french oocyte donors at least 3 years after donation. Reprod Biomed Online 2020; 40: 819–26.

6. Pecks U, Maass N, Neulen J. Eizellspende – ein Risikofaktor für Schwangerschaftshochdruck. Deutsches Ärzteblatt 2011; 108:
23–31.

7. van der Hoorn ML, et al. Clinical and immunologic aspects of egg donation pregnancies: a systematic review. Hum Reprod Update 2010; 16: 704–12.

8. Deutsches IVF-Register. Jahrbuch 2020. Modifizierter Nachdruck aus J Reproduktionsmed Endokrinol 2021; 18 (5). https://www.deutsches-ivf-register.de/perch/resources/dirjb2020de.pdf.

9. Wischmann T. Reproduktionsmedizin aus der Perspektive der reproduktiven Rechte. In: Hahn D (Hg). Jahrbuch für kritische Medizin und Gesundheitswissenschaften 53 – Sexualität und Reproduktion zwischen individuellen Vorstellungen und gesell­schaftlichen Normen. Argument-Verlag, Hamburg, 2021; 144–65.

10. De Geyter C, et al. ART in Europe, 2014: results generated from European registries by ESHRE: The European IVF-monitoring Con­sortium (EIM) for the European Society of Human Reproduction and Embryology (ESHRE). Hum Reprod 2018; 33: 1586–601.

11. Wyns C, et al.; ESHRE. ART in Europe, 2016: results generated from European registries by ESHRE. Hum Reprod Open 2020; 3: 1–17.

12. Thorn P. Aktuelle Bestandsaufnahme der psychosozialen Kin­der­wunschberatung in Deutschland. J Reproduktionsmed Endo­krinol 2020; 17: 266–71.

13. SPD; Bündnis 90/Die Grünen; FDP. Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Koalitions­vertrag 2021–2025. 2021 https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2021-2025.pdf.

14. International Planned Parenthood Federation (Hg). Sexuelle Rechte: Eine IPPF-Erklärung. 2006. https://www.ippf.org/sites/default/files/ippf_sexual_rights_declaration_german.pdf.

15. Wischmann T, Thorn P. Wenn ART erfolglos bleibt: Zahlen, Er­fahrun­gen, Interventionen. Gyne 2021; 6: 28–33.

16. Altmann J, et al. Lifting the veil of secrecy: maternal and neonatal outcome of oocyte donation pregnancies in Germany. Arch Gynecol Obstet 2021; Online ahead of print.

17. ESHRE Working Group on Reproductive Donation, et al. Good practice recommendations for information provision for those involved in reproductive donation. Hum Reprod Open 2022; doi: 10.1093/hropen/hoac001. eCollection 2022.

18. Thorn P, Wischmann T. BKiD-Leitlinie für die psychosoziale Beratung bei Gametenspende. Reproduktionsmed Endokrinol 2021; 18: 154–60.

19. Wischmann T, Schick M. Psychosoziale Aspekte des Kinder­wunsches nach 40. In: Seelbach-Göbel B, Würfel W (Hg). Schwan­gerschaft mit 40 plus. De Gruyter, Berlin, 2019; 17–37.

20. Practice Committee of the American Society for Reproductive Medicine and the Practice Committee for the Society for Assisted Reproductive Technology. Guidance regarding gamete and embryo donation. Fertil Steril 2021; 115: 1395–410.

(Alle Links zuletzt gesehen: 31. Mai 2022)


 
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