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Schuppe HC, Köhn FM  
Systemische Therapien und männliche Fertilität: Steroidhormone // Systemic pharmacotherapy and male fertility: steroid hormones

Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie - Journal of Reproductive Medicine and Endocrinology 2020; 17 (4): 153-157

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Keywords: AASAAS-AbususAnabol-androgene SteroideGlukokortikosteroidmännliche FertilitätSpermatogenese

Systemische Therapien und männliche Fertilität: Steroidhormone

H.-C. Schuppe1, F.-M. Köhn2

Eingegangen und angenommen am 12. August 2020 (verantwortlicher Rubrik-Herausgeber: F.-M. Köhn, München)

Aus der 1Sektion Konservative Andrologie, Klinik und Poliklinik für Urologie, Kinderurologie und Andrologie, Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH – Standort Gießen, Justus-Liebig-Universität Gießen, und dem 2Andrologicum München

Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Hans-Christian Schuppe, Sektion Konservative Andrologie, Klinik und Poliklinik für Urologie, Kinderurologie und Andrologie, Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH – Standort Gießen, Justus-Liebig-Universität Gießen, D-35385 Gießen, Gaffkystraße 14; E-Mail: Hans-Christian.Schuppe@derma.med.uni-giessen.de

Systemische Erkrankungen und die zu ihrer Behandlung eingesetzten Medikamente sind als Ursachen oder Ko-Faktoren männlicher Fertilitätsstörungen zu berücksichtigen. Zu den häufig anzutreffenden Pharmaka gehören Steroidhormone wie Kortikosteroide oder Sexualhormone, die auf verschiedenen Ebenen mit der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse interagieren können. Unter der Einnahme von Glukokortikosteroiden wurden erniedrigte Serum-Testosteronspiegel sowie Einschränkungen der Ejakulatqualität beobachtet. Bei niedrigem Evidenz-Level werden die Risiken einer Glukokortikosteroid-Therapie bezüglich Fertilität und Sexualfunktionen beim Mann jedoch als gering eingestuft. Wesentlich problematischer ist der Einsatz von Testosteron und anderen anabol-androgenen Steroiden (AAS). Besteht bereits für eine medizinisch indizierte Testosteronsubstitution bei Kinderwunsch eine strenge Kontraindikation, so stellt die missbräuchliche Anwendung von AAS ein hohes Risiko für eine Infertilität infolge der Suppression der Gonadotropine dar. Eine AAS-induzierte Oligo- oder Azoospermie gilt nach Absetzen der AAS als reversibel, es muss jedoch auch mit dauerhaften Fertilitätsstörungen und Zeichen eines Hypogonadismus gerechnet werden.

Schlüsselwörter: Anabol-androgene Steroide (AAS), AAS-Abusus, Glukokortikosteroide, männliche Fertilität, Spermatogenese

Systemic pharmacotherapy and male fertility: steroid hormones. Systemic diseases and associated pharmacotherapy represent important underlying causes or co-factors of male infertility. Among other drugs, steroid hormones such as corticosteroids or sex hormones, which can interact with the hypothalamic-pituitary-gonadal axis at different levels, are often encountered. In patients on long-term therapy with glucocorticosteroids lower serum testosterone levels and impaired semen quality were observed. Although the level of evidence is poor, the risk of serious adverse effects of glucocorticosteroids on male fertility and sexual function is regarded to be low. In contrast, administration of testosterone preparations and other anabolic androgenic steroids (AAS) is a matter of serious concern. Testosterone replacement therapy is strictly contra-indicated in patients who want to father children. The non-medical abuse of AAS is even more associated with a high risik of infertility due to the suppression of gonadotropins. AAS-induced oligo- or azoospermia is considered to be reversible after cessation of the drugs. However, persistent disturbances of fertility and hypogonadism may occur. J Reproduktionsmed Endokrinol 2020; (4): 153–7.

Key words: anabolic androgenic steroids (AAS), AAS abuse, glucocorticosteroids, male fertility, spermatogenesis

Einleitung

Systemische Erkrankungen und ihre Therapie können wesentliche Ursache oder Ko-Faktoren männlicher Fertilitätsstörungen sein. Hierbei sind Störungen auf verschiedenen Ebenen der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse zu beachten, die sowohl mit klinischen Symptomen des Androgenmangels als auch einer Beeinträchtigung der Spermatogenese und folglich einer Sub- bzw. Infertilität einhergehen können [1]. Abgesehen von den eingesetzten Pharmaka und ihren potenziellen Nebenwirkungen hängen Ausprägung und Reversibilität der Störungen der Reproduktionsorgane vom Zeitpunkt des Eintritts der Grunderkrankung (z. B. prä- oder postpuberal), ihrer Dauer und dem Schweregrad ab [2].

Steroidhormone finden in der Medizin eine breite therapeutische Verwendung. Neben Sexualhormonen aus den Gruppen der Androgene, Estrogene und Gestagene gehören hierzu auch Kortikosteroide der Nebennierenrinde. In der andrologischen Praxis sind naturgemäß vor allem Therapien mit Testosteron-Präparaten zu beachten [3]. Angesichts der Prävalenz relevanter Ko-Morbiditäten im Zusammenhang mit männlichen Fertilitätsstörungen kommt jedoch auch die Behandlung mit anderen Steroidhormonen, insbesondere Glukokortikosteroiden, vor [4]. Ein breites Spektrum von Pharmaka wird ohne medizinische Indikation zur Leistungssteigerung oder aus „Lifestyle“-Gründen eingenommen; zu den häufig eingesetzten Präparaten zählen nach wie vor anabol-androgene Steroide (AAS) [2–6].

In der vorliegenden Arbeit sind verfügbare Daten zum Einfluss von Glukokortikosteroiden auf die männliche Fertilität sowie zur Problematik des AAS-Abusus zusammengefasst.

Glukokortikosteroide

Kortisol (Hydrokortison) ist in Stoffwechselvorgänge wie Glukoneogenese, Fettstoffwechsel und Proteinumsatz involviert und als endogenes Stresshormon essenziell. Glukokortikosteroide wirken darüber hinaus immunsuppressiv, anti-inflammatorisch und anti-proliferativ und finden somit breite Anwendung bei der Behandlung chronisch-entzündlicher sowie onkologischer Erkrankungen [1, 4, 7]. Zu den häufig zur oralen Therapie verordneten Präparaten gehören Dexamethason, Prednison und Prednisolon.

Im männlichen Reproduktionssystem können Glukokortikosteroide indirekte, inhibitorische Effekte über die Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse entfalten, aber auch direkt testikulär einwirken [8]. Bei der Ratte führte die Behandlung mit Kortikosteron zu einer Einschränkung der Fertilität, jedoch ohne Verminderung der Spermienzahl oder -motilität [9]. Andererseits konnte in einem Ischämie-Reperfusionsmodell im kontralateralen Hoden eine Hemmung der Apoptose im Keimepithel durch Dexamethason nachgewiesen werden [10].

Glukokortikosteroid-Therapie bei chronisch-entzündlichen Systemerkrankungen

Untersuchungen zum Einfluss von Glukokortikosteroiden auf Sexualhormonspiegel bei gesunden Männern lieferten widersprüchliche Daten; in einigen Studien waren keine Effekte nachweisbar [4]. Beobachtungen an Patienten mit langfristiger Einnahme von Prednison zur Behandlung chronisch-entzündlicher Systemerkrankungen wie der rheumatoiden Arthritis zeigten eine Verminderung der Serum-Testosteronspiegel im Vergleich zu unbehandelten Männern [11–14]. Randomisierte kontrollierte Studien stehen hierzu nicht zur Verfügung [4, 15].

Zu den möglichen Nebenwirkungen ­einer Glukokortikosteroid-Medikation bei Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wird eine (reversible) Verminderung von Spermienkonzentration und -motilität gezählt; auch hierzu liegen jedoch kontroverse Studiendaten vor [16, 17]. Die Kombination von Glukokortikosteroiden mit Azathioprin führte nicht zu einer (weiteren) Verschlechterung der Ejakulatqualität [18].

Eine isolierte Betrachtung von Glukokortikosteroid-Effekten auf die männliche Fertilität ist in diesem Zusammenhang kaum möglich, da chronisch-entzündliche Systemerkrankungen selbst als relevante Einflussfaktoren zu berücksichtigen sind [1, 4, 16].

Anhand der sehr begrenzten Datenbasis und bei einem dementsprechend niedrigen Evidenz-Level werden die Risiken einer Glukokortikosteroid-Therapie im Hinblick auf männliche Fertilität sowie Sexualfunktionen insgesamt als gering eingestuft [15]. Bei bestehendem Kinderwunsch ist ein Absetzen der Therapie nicht notwendig.

Glukokortikosteroid-Therapie bei andrologischen Erkrankungen

Unter den kongenitalen Erkrankungen erfordert das Adrenogenitale Syndrom mit unzureichender Produktion von Kortisol und zumeist auch Aldosteron infolge eines enzymatischen Defektes der adrenalen Steroidbiosynthese eine adäquate Substitution mit Glukokortikoiden, ggf. auch Fludrokortison [19].

Bei Patienten mit entzündlichen Läsionen im Hoden („low-grade“ Autoimmun-Orchitis) wurden positive Effekte auf die Spermaparameter nach oraler Glukokortikosteroid-Behandlung beobachtet [20, 21]. Kürzlich wurde das Konzept der antientzündlichen Therapie mit Prednison wieder aufgegriffen. Patienten mit Oligozoospermie und klinisch-sonographischen Zeichen einer Entzündung im Genitaltrakt, jedoch negativer Ejakulatkultur, wurden mit 25 mg/d Prednison über einen Monat behandelt. Dabei kam es zu einer signifikanten Verbesserung von Spermienkonzentration und -motilität [22].

Zur Behandlung der sog. immunologischen Infertilität durch membrangebundene Antispermatozoen-Antikörper sind ebenfalls Glukokortikosteroide eingesetzt worden. Die Ergebnisse der verfügbaren kontrollierten Studien sind jedoch bezüglich positiver Effekte auf Schwangerschaftsraten kontrovers [23]. Mögliche positive Wirkungen müssen gegenüber potenziell schweren Nebenwirkungen wie z. B. einer aseptischen Femurkopf-Nekrose abgewogen werden. Vor diesem Hintergrund wird heute Verfahren der assistierten Reproduktion der Vorzug gegeben.

Anabol-androgene ­Steroide (AAS)

Testosteron wird für die sexuelle Differenzierung sowie die Ausbildung des männlichen Phänotyps benötigt und beeinflusst Sexualverhalten und -aktivität beim Mann [24]. Neben diesen androgenen Effekten hat Testosteron eine starke proteinaufbauende (anabole) Wirkung. Bei Patienten mit einem Androgenmangel bewirkt die Testosteronsubstitution eine Zunahme des Körpergewichts zugunsten der fettfreien Körpermasse [25]. Zusammen mit körperlichem Training erlauben supraphysiologische Testosteron-Gaben auch bei gesunden Männern eine Steigerung der Muskelmasse und -kraft [26].

Bereits in den vergangenen 50 Jahren wurden zahlreiche Modifikationen des Testosteronmoleküls [5, 6, 25]; (Abb. 1; Tab. 1) synthetisiert, um die rasche Metabolisierung von Testosteron in der Leber zu umgehen und geeignete Darreichungsformen für eine Substitutionsbehandlung zu erhalten. Andererseits zielten die Bemühungen darauf ab, Steroide mit überwiegend anaboler Wirkung und möglichst geringer androgener Komponente für geeignete medizinische Indikationen zu entwickeln – eine vollständige Trennung der beiden Wirkungen ist jedoch nicht gelungen.

Medizinisch indizierte Anwendung von AAS

In der andrologischen Sprechstunde spielt die Testosteronersatztherapie des Mannes bei den verschiedenen Formen eines kongenitalen oder erworbenen Hypogonadismus eine zentrale Rolle (siehe kürzlich in diesem Journal erschienene Übersichten; [3, 24]). Auch bei Sexualstörungen und niedrigen Testosteron-Serumspiegeln kann eine Substitution indiziert sein, z. B. bei Nichtansprechen einer erektilen Dysfunktion auf die alleinige Gabe von Phosphodiesterase-5-Inhibitoren [24]. Dies gilt ebenso für Männer mit systemischen Erkrankungen und Symptomen eines Hypogonadismus nach erfolgloser Behandlung von Übergewicht und anderen Ko-Morbiditäten [3].

Zu den diskutierten klinischen Anwendungsgebieten von Testosteron und anderen AAS gehören auch konsumierende Erkrankungen oder Infektionen (z. B. HIV), Störungen des Knochenstoffwechsels sowie aplastische und renale Anämie [27]. Allerdings ist nicht belegt, ob Steroide mit vergleichsweise stärkerer anaboler Wirkung eine höhere Effektivität als Testosteron-Präparate aufweisen.

Bei bestehendem Kinderwunsch ist eine Gabe von Testosteron bzw. AAS strikt kontraindiziert (Tab. 2). In der Praxis wird zu häufig eine Testosteron-Therapie eingeleitet, ohne die betroffenen (auch älteren) Männer nach einem aktuellen Kinderwunsch zu fragen (hierbei müssen nicht unbedingt Fertilitätsprobleme vorliegen oder eine Kinderwunschbehandlung angestrebt werden).

Missbrauch von AAS: Motivationen

Ohne medizinische Indikation wurden AAS bereits sehr früh im Spitzensport eingesetzt, um auf unphysiologische Weise die Leistungsfähigkeit zu steigern („Doping“; [5, 6]). Erste Berichte über eine Anwendung von Testosteron-Derivaten durch Gewichtheber stammen aus den 1950er-Jahren. In den folgenden Jahrzehnten hat der Missbrauch von AAS im Leistungssport erheblich zugenommen, wobei die Prävalenz im Bodybuilding und bei Gewichthebern am höchsten ist [5]. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die ethisch nicht akzeptable Behandlung von Athleten in staatlich-geförderten Doping-Programmen wie z. B. in der ehemaligen DDR [28]. Trotz frühzeitiger ärztlicher Warnungen, Berücksichtigung der anabolen Steroide in Verboten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) unmittelbar nach Etablierung geeigneter Nachweismethoden und Einführung von Doping-Kontrollen ist das Problem des Abusus von AAS im internationalen Wettkampfsport bis heute aktuell. In den vom IOC akkreditierten Referenzlaboratorien sind ca. 0,5 % der jährlich untersuchten Proben AAS-positiv [5].

Längst hat der Missbrauch von AAS auch den Breiten- und Freizeitsport erreicht. Ältere, unter Jugendlichen in den USA erhobene Daten zeigten für den AAS-Konsum eine Prävalenz von 3–12 % bei Jungen und 1–2 % bei Mädchen [29]. Die Lebenszeitprävalenz für die Anwendung von AAS liegt für Männer bei 6,4 % und für Frauen bei 1,6% [6]. Es ist davon auszugehen, dass bis zu 25 % der Sportler in Fitness-Studios Anabolika und andere leistungssteigernde Mittel anwenden [30, 31].

Als vorrangiges Ziel der Anwendung von AAS wird nicht nur eine verbesserte Wettkampfleistung („win at all costs”) angegeben, sondern auch der Wunsch nach Veränderung der Körperproportionen durch Aufbau von Muskelmasse und -kraft („win the battle of attractiveness“) [32]. In diesem Zusammenhang ist das gesteigerte Interesse am körperlichen Erscheinungsbild mit demjenigen bei Essstörungen vergleichbar [33]. Die pathologische Beschäftigung mit einem eingebildeten Mangel an Muskelmasse wird als körperdysmorphe bzw. somatoforme Störung aufgefasst („Muskel-Dysmorphie“; [34]). Schließlich ist der Abusus von AAS als „Lifestyle“-Medikation nicht selten mit der Einnahme anderer Drogen bzw. Genussgifte assoziiert [35].

Missbrauch von AAS: Präparate und Dosierungen

Im Rahmen des Missbrauchs kommt neben den in Deutschland zugelassenen und im Handel befindlichen Androgenen, insbesondere den intramuskulär zu applizierenden Depotpräparaten Testosteron-Enanthat und -Propionat sowie dem oral wirksamen Testosteron-Undecanoat, ein breites Spektrum von AAS zur Anwendung [5, 6] (Tab. 1). Unter den am häufigsten eingesetzten Präparaten finden sich auch zahlreiche 17?-alkylierte anabole Steroide (Abb. 1; Tab. 1), die aufgrund ihrer Nebenwirkungen für medizinische Indikationen seit Langem obsolet sind. Der Bezug erfolgt vor allem über einen umfangreichen Schwarzmarkt sowie das Internet; in mehreren Studien wurde jedoch auch über eine ärztliche Verordnung bzw. Abgabe durch Apotheker in 14–16 % der Fälle berichtet [30, 36]. Zu berücksichtigen sind auch veterinärmedizinische Arzneimittel sowie insbesondere im Schwarzmarkthandel in ihrer Qualität und Reinheit nicht gesicherte, z. T. nicht näher identifizierbare Präparate. Darüber hinaus kommen zunehmend sog. „Designer-Steroide“ wie z. B. Tetrahydrogestrinon zum Einsatz [5]. Schließlich wurden in mehreren Studien in bis zu 15 % der getesteten Nahrungsergänzungspräparate („nutriceuticals“) nicht deklarierte AAS in Doping-relevanten Mengen nachgewiesen [37]. Hierzu zählten auch Prohormone des Testosterons wie DHEA [5].

Die Einnahme- und Dosierungsschemata entsprechen nicht denjenigen bei klinischer Anwendung, sondern es erfolgt zumeist ein exzessiver Missbrauch [6, 38, 39]. Nach einschlägigen „Anleitungen“ werden Kombinationen verschiedener Präparate oral und intramuskulär in Schemata mit auf- und absteigenden Dosierungen („stacking“) über 4–18 Wochen („Kuren“) und sehr variablen behandlungsfreien Intervallen angewendet [36, 39]. Hierbei überschreiten die Dosierungen den therapeutischen, für eine Substitutionstherapie bei Hypogonadismus erforderlichen Bereich um das 10–100-Fache [6, 36].

Zur Verstärkung der Effekte oder Vermeidung von Nebenwirkungen (Tab. 2) werden oft noch zusätzliche Medikamente, wie z. B. Wachstumshormon, Schilddrüsenhormone, Anti-Östrogene, hCG oder Diuretika, eingenommen [35].

Nebenwirkungen von AAS

In einer Befragung von 500 AAS-Anwendern gaben 99,2 % subjektive Nebenwirkungen an [36] (Tab. 2). Für Männer im reproduktionsfähigen Alter ist insbesondere die AAS-induzierte Suppression der Hypothalamus-Hypophysenfunktion und damit der Gonadotropine LH und FSH relevant, die zu einer Hemmung der Spermienproduktion und Abnahme des Hodenvolumens führt [6, 40]. Die Infertilität infolge einer hochgradigen Oligo- oder Azoospermie gilt nach Absetzen der AAS zwar grundsätzlich als reversibel; die Erholung der Spermatogenese kann jedoch über 6 Monate und länger dauern [6, 41]. Auch eine irreversible Beeinträchtigung der Fertilität bzw. dauerhafter Hypogonadismus sind möglich und können bei Kinderwunsch eine Stimulationsbehandlung mit Gonadotropinen sowie Maßnahmen der assistierten Fertilisation erforderlich machen [40, 42].

Neben der Infertilität sind im Rahmen des AAS-bedingten Hypogonadismus Libidoverlust und Erektionsstörungen zu berücksichtigen. Insbesondere die aromatisierbaren, d. h. zu Östrogenen umwandelbaren Präparate induzieren häufig eine Gynäkomastie [6]. An der Haut können AAS zu schweren Verlaufsformen der Akne bis hin zur Acne fulminans führen [32]. Ein erhöhtes Risiko für eine benigne Prostatahyperplasie oder ein gehäuftes Auftreten von Prostata-Karzinomen wurden nach AAS-Abusus nicht beobachtet [6].

Eine erhebliche Hepatotoxizität einschließlich neoplastischer Prozesse ist mit der Anwendung 17?-alkylierter Präparate verbunden [25]. Darüber hinaus sind Veränderungen im Lipidstoffwechsel sowie die Gefahr kardiovaskulärer und thromboembolischer Komplikationen erwähnenswert [27]. Neuere Untersuchungen zeigen eine dosisabhängige Myokardhypertrophie bei Kraftsport-treibenden Männern mit AAS-Abusus, wobei der Effekt durch zusätzliche Gabe von Wachstumshormonen verstärkt wird [43]. Verschiedene Fallberichte belegen den Zusammenhang zwischen AAS-Abusus und plötzlichem Herztod bei jungen Athleten [44]. Neben physischer und psychischer Abhängigkeit von Anabolika sind insbesondere nach Absetzen Depressionen, Psychosen und erhöhte Suizidalität beschrieben worden [45].

Schwerwiegende Gesundheitsschäden infolge eines AAS-Abusus lassen sich nur durch Primärprävention vermeiden. Die hierfür erforderliche intensive Aufklärung kann ebenso wie die Sekundärprävention durch Telefonberatungsdienste nach schwedischem Vorbild unterstützt werden („Anti-Doping-Hotline“; [46]). Allerdings schätzen AAS-Anwender das Wissen ihrer Ärzte über anabol-androgene Steroide geringer ein als dasjenige von Freunden und Dealern [36].

Relevanz für die Praxis

  • Die Risiken einer Glukokortikosteroid-Therapie im Hinblick auf Fertilität sowie Sexualfunktionen des Mannes werden als gering eingestuft (bei niedrigem Evidenz-Level). Ein Absetzen der Therapie bei bestehendem Kinderwunsch ist nicht notwendig.
  • Eine Anwendung von Testosteron und anderen anabol-androgenen Steroiden (AAS) ohne medizinische Indikation ist strikt abzulehnen.
  • Eine AAS-induzierte Oligo- oder Azoospermie infolge der Suppression der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse gilt nach Absetzen der Präparate als reversibel, auch eine dauerhafte Beeinträchtigung von Fertilität und Sexualfunktionen ist jedoch möglich.
  • Angesichts der Nebenwirkungen und schwerwiegenden Spätfolgen sind die frühzeitige Erkennung eines AAS-Abusus sowie die Primärprävention als dringende ärztliche Aufgaben anzusehen.

Interessenkonflikt

Es besteht kein Interessenkonflikt.

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Tabelle 1: Häufig eingesetzte anabol-androgene Steroide (AAS)*

AAS

17?-alkyliert§

Oral anwendbar

x§

Metandienon

x

Nandrolon (19-Nortestosteron)

Trenbolon

Stanozolol

x

x

Dehydrochlormethyltestosteron (Turinabol)

x

x

Boldenon

Drostanolon

Oxandrolon

x

x

Oxymetholon

x

x

Methenolon

Methyldrostanolon

x

Methyltestosteron

x

x

Clostebol

Mesterolon

x

Dihydrotestosteron

Fluoxymesteron

x

x

Formebolon

x

*Nach Aufkommen bzw. Häufigkeit in Schwarzmarkt- und Dopingkontrollen geordnet [5, 6]
§CAVE: Hepatotoxizität; s. Abb. 1; Tab. 2

Tabelle 2: Nebenwirkungen anabol-androgene Steroide (AAS). Erstellt nach [32]

Hypothalamus-Hypophysen-Funktion*

Suppression der Gonadotropinsekretion

Vermindertes Hodenvolumen

Oligo- bis Azoospermie, Infertilität

Testosteronmangel

Libidoverlust

Brustdrüsenkörper

Gynäkomastie

Hämatopoese

Polyglobulie

Thromboembolische Komplikationen

Kardiovaskuläres System

Kardiomyopathie

plötzlicher Herztod

Leber§

Intrahepatische Cholestase

Peliosis hepatis (hämorrhagische ­Leberzysten)

Hepatozelluläre Adenome/Karzinome

Stoffwechselfunktionen

Verminderung HDL-, Anstieg LDL-Cholesterin

Hyperinsulinismus

Skelettsystem

Vorzeitiger Epiphysenfugenschluss (bei Adoleszenten)

Haut

Akne

Alopezie

Psyche

Stimmungsschwankungen

Depression, Psychosen (nach Ab­setzen)

gesteigerte Aggressivität (?)

*Bei Frauen: Oligo- bis Amenorrhoe ? Infertilität; Virilisierung mit männlicher Sekundärbehaarung, Absenkung der Stimmlage, Klitorishypertrophie, Infertilität
§Insbesondere durch Einnahme 17?-alkylierter AAS


 
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