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Mittank-Weidner T et al.  
Fertilitätsrisiken unter der Therapie mit Immuncheckpoint-Inhibitoren beim Mann // Fertility risks with checkpoint inhibitor therapy in men

Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie - Journal of Reproductive Medicine and Endocrinology 2020; 17 (4): 158-160

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Keywords: Checkpoint-InhibitorFertilitätImmuntherapieOnkofertilität

158_-_Mittank-Weidner

Fertilitätsrisiken unter der Therapie mit Immuncheckpoint-Inhibitoren beim Mann

T. Mittank-Weidner, U. Paasch, S. Grunewald

Eingegangen am 5. Mai 2020, angenommen am 12. Juli 2020 (verantwortlicher Rubrik-Herausgeber F.-M. Köhn, München)

Aus der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Universitätsklinikum Leipzig

Korrespondenzadresse: Dr. med. Till Mittank-Weidner, Universitätsklinikum Leipzig AöR, Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, D-04103 Leipzig, Ph.-Rosenthal-Straße 23; E-Mail: till.mittank-weidner@medizin.uni-leipzig.de

Die rasant steigende Zahl an Zulassungen neuer onkologischer Medikamente verschiedenster Substanzgruppen, welche nicht direkt zytotoxische Wirkungen entfalten, führen teilweise zur Unsicherheit bei der Fertilitätsberatung vor einer geplanten onkologischen Systemtherapie. Generell sind Daten über die Reproduktionseinschränkung beim Mann für viele der neuen Medikamente spärlich, überwiegend jedoch nicht vorhanden. Bei der Betrachtung der Fertilitätstoxizität von Immuncheckpoint-Inhibitoren müssen insbesondere autoimmune Nebenwirkungen in Betracht gezogen werden, welche die männliche Fertilität beeinträchtigen. Dabei sind es vor allem die Hypophysitis und Orchitis, welche sich negativ auf die Fruchtbarkeit auswirken. Patienten müssen auf die Option einer Kryokonservierung bei fertilitätseinschränkenden Therapien hingewiesen werden.

Schlüsselwörter: Fertilität, Onkofertilität, Checkpoint-Inhibitor, Immuntherapie

Fertility risks with checkpoint inhibitor therapy in men. The rapidly increasing number of approvals of new oncological drugs of various substance groups, which do not directly develop cytotoxic effects, partly lead to uncertainty in fertility counselling before a planned oncological system therapy. In general, data on reproductive restriction in men are sparse for many of the new drugs, but mostly not available. When considering the fertility toxicity of immunocheckpoint inhibitors, autoimmune side effects that affect male fertility must be considered. It is mainly hypophysitis and orchitis that have a negative effect on fertility. Patients must be advised of the option of cryopreservation in fertility-restricting therapies. J Reproduktionsmed Endokrinol 2020; 17 (4): 158–60.

Key words: fertility, oncofertility, checkpoint inhibitor, immunotherapy

Einleitung

Die männliche Fertilität kann durch zahlreiche externe Faktoren negativ beeinflusst werden. Insbesondere onkologische Therapiekonzepte können eine Einschränkung der Gonadenfunktion verursachen. Neben der onkologischen Erkrankung selbst, operativen Eingriffen im Bereich der Genitalorgane und der Strahlentherapie sind es vor allem medikamentöse Systemtherapien, welche die Fertilität maßgeblich beeinflussen können. Die in den vergangenen Jahrzehnten und bis dato eingesetzten zytotoxischen Chemotherapeutika kompromittieren (schnell-) proliferierendes Gewebe und somit direkt die Spermatogenese. So können beispielsweise Alkylantien nachweislich zur Azoospermie führen und eine Erholungsphase von Monaten bis Jahren nach Therapieende aufzeigen [1].

Die rasant steigende Zahl an Zulassungen neuer onkologischer Medikamente verschiedenster Substanzgruppen, welche nicht direkt zytotoxische Wirkungen entfalten, führen teilweise zur Unsicherheit bei der Fertilitätsberatung vor einer geplanten onkologischen Systemtherapie. Patienten müssen auf die Option einer Kryokonservierung bei fertilitätseinschränkenden Therapien hingewiesen werden; (Urteil OLG Frankfurt, 2002 [AZ 25 U 120/01]).

Generell sind Daten über die Reproduktionseinschränkung beim Mann für viele der neuen Medikamente spärlich, überwiegend jedoch nicht vorhanden. Rückschlüsse werden zumeist aus den tierexperimentellen Toxizitätsstudien innerhalb der Zulassungsverfahren gezogen. Eine in den vergangenen Jahren für ganz verschiedene Tumore eingesetzte Gruppe onkologischer Medikamente sind die Immuncheckpoint-Inhibitoren. Für diese soll – auch aufgrund ihres zunehmenden Einsatzes in der adjuvanten Situation – im Folgenden das aktuelle Wissen bezüglich ihrer fertilitätsrelevanten Nebenwirkungen dargestellt werden.

Immuncheckpoint-­Inhibitoren

Immuncheckpoint-Inhibitoren finden zu­nehmend Einzug in onkologischen Therapieansätzen (Tab. 1). Die Indikationen sind zahlreich in den verschiedenen Fachdisziplinen. Sie werden intravenös verabreicht und können auch adjuvant, kombiniert oder neoadjuvant angewendet werden. Der zielgerichtete Wirkmechanismus, welcher „Bremsen“ aus dem Immunsystem entfernt und dabei die Erkennung von maligne entarteten Zellen verstärkt, kann zu einer Vielzahl an Autoimmunphänomenen als unerwünschte Arzneimittelwirkung führen. Diese können sich direkt oder indirekt auf die Gonadenfunktion auswirken.

Die Zulassung in adjuvanten Therapiekonzepten hat zur Folge, dass zum einen mehr jüngere Patienten mit diesen Medikamenten behandelt werden und zum anderen kurativ behandelte, „gesündere“ Patienten diese Therapie erhalten. Der Kinderwunsch tritt somit auch im onkologischen Setting verstärkt in den Vordergrund und wird zunehmend aktiv von den Patienten angesprochen. Fertilitätserhaltende Maßnahmen müssen dem Patienten, wie eingangs erwähnt, angeboten werden. Für Männer ist das im Wesentlichen eine Kryokonservierung ejakulierter Spermien oder seltener eine Kryokonservierung testikulärer Spermien (sog. Kryo-TESE).

Autoimmunhypophysitis

Aus dem Spektrum der Nebenwirkungen wird insbesondere die Autoimmunhypophysitis gefürchtet. Am häufigsten wird sie durch den CTLA4-Inhibitor Ipilimumab (0–17 % der Studienkohorten), seltener durch die PD1/PD1L-Blocker induziert. Das mediane Auftreten der endokrinen unerwünschten Arzneimittelwirkungen nach Therapieeinleitung liegt bei ca. 10 Wochen. Diese können grundsätzlich jedoch auch während der gesamten Therapie und wenige Monate nach Therapie auftreten. Männliche Patien­ten scheinen häufiger betroffen zu sein als Frauen [2].

Beschwerden wie Abgeschlagenheit, Kopfschmerzen, Verwirrtheit, Fatigue, Stimmungsschwankungen und Sehstörungen können Hinweise auf eine Entzündung der Hypophyse sein. An­drologische Beschwerden manifestieren sich durch Libidoverlust und/oder erektile Dysfunktion.

Die Verdachtsdiagnose wird primär laborchemisch gesichert. Eine morgendliche (zwischen 8.00 und 10.00 Uhr) Bestimmung folgender Parameter im Serum zusätzlich zum Routinelabor gemäß dem Therapiemonitoring sollte erfolgen: adrenokortikotropes Hormon (ACTH), Kortisol, Thyroidea-­stimulierendes Hormon (TSH), Prolaktin, luteinisierendes und follikelstimulierendes Hormon (LH/FSH), freie Schilddrüsenhormone, Östradiol bei prämenopausalen Frauen, Gesamttestosteron bei männlichen Patienten und Insulin-like Growth Factor 1 (IGF-1). Eine Magnetresonanztomographie kann die Diagnose einer Hypophysitis bestätigen [3].

Liegt zeitgleich eine Beeinflussung der Gonadotropine vor, wird die Spermatogenese gehemmt oder bleibt sogar aus – ein Fakt, über den die männlichen Patienten unbedingt aufgeklärt werden sollten.

Die Therapie der Autoimmunhypophysitis besteht in der systemischen Gabe von Glukokortikosteroiden und in der ggf. dauerhaften Substitution der jeweils mangelnden peripheren Hormone. Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Endokrinologen ist anzuraten.

Bei Testosteronmangel muss der Wunsch nach Erhalt der Fertilität erfragt werden. Wird ein Fertilitätserhalt angestrebt, ist ein Therapieversuch mit humanen Cho­riongonadotropin (HCG) und FSH anstelle einer Testosteronersatzbehandlung indiziert. Andernfalls ist eine Spermienkryokonservierung anzubieten [4].

Autoimmunorchitis

Eine autoimmune Hoden- und Nebenhodenentzündung durch die Anwendung von PD1/PD-L1-Blocker ist vereinzelt in der Fachliteratur beschrieben worden. Klinisch tritt diese zunächst durch eine schmerzhafte Schwellung der Testes ca. zwei Wochen nach Erstgabe in Erscheinung. Paraklinisch ist ein Abfall der Testosteronkonzentration bei erhöhtem LH zu sehen. Abzugrenzen ist hierbei eine autoimmune Hypophysitis durch serologische Bestimmung der Hypothalamus-hypophysären Hormonachsen. In den unterschiedlich durchgeführten Bildgebungen konnte jeweils eine ­Entzündung der Hoden, sowie in einem Fall der Nebenhoden, bewiesen werden [5, 6].

Das Hodengewebe und die darin befindlichen immunogenen Keimzellen sind durch verflochtene Mechanismen vor einer Immunantwort geschützt. Hierbei spielt insbesondere das angeborene Immunsystem eine tragende Rolle.

Die Bluthodenschranke sorgt unter anderem für eine physiologische Immunostase im männlichen Keimepithel, um die Spermatogenese vor dem eigenen Immunsystem „zu schützen“. Diese Barriere ist durch „tight junctions“ zwischen den Sertoli-Zellen gekennzeichnet. Dabei wird der Schutz des Keimepithels und der darin ablaufenden Meiose zum Großteil gewährleistet. Da jedoch Spermatogonien und frühe Entwicklungsstadien der Spermatozyten außerhalb dieser liegen, müssen zusätzlich immunologische Mechanismen zu einem immunsuppressiven Milieu im Hoden beitragen. Diese spielen sich überwiegend im Interstitium, jenseits der Tubuli seminiferi, ab. Dort finden sich die ortsständigen Immunzellen des Hodens (Makrophagen, dendritische Zellen, T-Lymphozyten), die eine eigene Immunhomöostase getrennt vom Organismus bedingen.

Eine wichtige Rolle spielt dabei die PD1/PD-L1-Interaktion, welche bei Bindung eine Vermehrung von T-Lymphozyten, durch Einleitung einer Apoptose, unterdrückt. Bei Blockierung dieser im Rahmen der onkologischen Therapie ist eine Orchititis durch die Vermehrung zyto­toxischer CD8+-T-Zellen möglich und eine irreversible Schädigung des Keimepithels kann durch diese iatrogene Entzündung eintreten [5]. Diese Vorgänge sind in Abbildung 1 schematisch dargestellt. Sie zeigt die erwähnte Interaktion von PD1 (Bildung durch peritubuläre und Sertoli-Zellen) und T-Lymphozyten bei physiologischer Immunlage sowie die iatrogene Blockierung dieser Bindung mit konsekutiver Proliferation der T-Lymphozyten und der Möglichkeit der Ausbildung einer Orchitis.

Ursächlich dafür könnte zum einen ein direkt toxischer Effekt der Lymphozyten sein. Andererseits wird diskutiert, dass das immunologische Gleichgewicht im Hoden durch die Lymphozyteninfiltration gestört wird und es zur Inflammation mit Sekretion proinflammatorischer Zytokine durch Makrophagen kommt. Bei nicht iatrogen bedingten Autoimmunorchitiden scheinen dabei Tumornekrosefaktor- ? und Interleukin-6 beteiligt zu sein, welche zu einer Keimzellapoptose führen. Zudem führen Orchitiden zum Untergang der Bluthodenschranke und gestörter Sertoli-Zell-Funktion [7–9]. In der Literatur existieren wenige Fälle einer Autoimmunorchitis unter Checkpoint-Inhibitoren. Subklinische Entzündungen werden in der Praxis möglicherweise nicht erfasst. Die allgemeine Therapie autoimmuner unerwünschter Arzneimittelwirkungen besteht in der Gabe systemischer Glukokortiko­steroide, es wurde auch über eine Spontan­remission einer Orchitis berichtet.

Nach klinischer Besserung der Beschwerden (Hodenschmerzen und ggf. -schwellung) sollten Spermiogramme zur Beurteilung der Fertilität durchgeführt werden [5, 6]. Hier zeigt sich nochmals, wie wichtig die Erfassung der andrologischen Ausgangssituation vor Therapie­einleitung ist und dass im Falle einer offenen Familienplanung auch Spermiogramme erstellt werden sollten.

Relevanz für die Praxis

Bei der Anwendung neuer onkologischer Systemtherapien wie PD1/PD1L-Blocker muss zum einen an spezifische und seltene unerwünschte Arzneimittelwirkungen gedacht werden. Diese können auf verschiedenen Ebenen zu einer Beeinträchtigung der Gonadenfunktion führen. Zum anderen sind Daten über die Auswirkungen auf die männliche Fertilität oft nicht vorhanden und entstammen meist aus Tierversuchen der Zulassungsstudien. Behandelnde Ärzte stehen daher vor der verpflichtenden Herausforderung, Patienten über mögliche, weitestgehend unbekannte Fertilitätsrisiken aufzuklären, Möglichkeiten zum Erhalt der Fruchtbarkeit zu besprechen und eine andrologische Untersuchung vor Therapiebeginn anzubieten. Eine Überweisung zum Andrologen ist hierbei jedem Patienten anzubieten.

Interessenkonflikt

T. Mittank-Weidner, S. Grunewald und U. Paasch geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Danksagung: Wir bedanken uns bei Frau Dana Hildenhagen und Herrn ­Marcus Karsten für die unterstützende Erstellung der grafischen Abbildung.

Literatur

1. Meistrich ML. Effects of chemotherapy and radiotherapy on spermatogenesis in humans. Fertil Steril 2013; 100: 1180–6.

2. Albarel F, Gaudy C, Castinetti F, et al. Long-term follow-up of ipilimumab-induced hypophysitis, a common adverse event of the anti-CTLA-4 antibody in melanoma. Eur J Endocrinol 2015; 172: 195–204.

3. Dillard T, Yedinak CG, Alumkal J, et al. Anti-CTLA-4 antibody therapy associated autoimmune hypophysitis: serious immune related adverse events across a spectrum of cancer subtypes. Pituitary 2010; 13: 29–38.

4. Nishijima TF, Shachar SS, Nyrop KA, et al. Safety and Tolerability of PD-1/PD-L1 Inhibitors Compared with Chemo­therapy in Patients with Advanced Cancer: A Meta-Analysis. Oncologist 2017; 22: 470–79.

5. Brunet-Possenti F, Opsomer MA, Gomez L, et al. Immune checkpoint inhibitors-related orchitis. Ann Oncol 2017; 28: 906–7.

6. Quach HT, Robbins CJ, Balko JM, et al. Severe Epi­didymo-Orchitis and Encephalitis Complicating Anti-PD-1 Therapy. Oncologist 2019; 24: 872–76.

7. Filippini A, Riccioli A, Padula F, et al. Control and impairment of immune privilege in the testis and in semen. Hum Reprod Update 2001; 7: 444–9.

8. Chen Q, Deng T, Han D. Testicular immunoregulation and spermatogenesis. Semin Cell Dev Biol 2016; 59: 157–65.

9. Zhao S, Zhu W, Xue S, et al. Testicular defense systems: immune privilege and innate immunity. Cell Mol Immunol 2014; 11: 428–37.

Tabelle 1: Immuncheckpoint-Inhibitoren, deren Zielstrukturen und in der EU zugelassene Indikationen

Wirkstoff

Zielstruktur

Zulassungsindikationen

Cytotoxic T-lymphocyte-associated Protein 4 (CTLA4)

Melanom, Nierenzellkarzinom

Programmed cell death protein 1 (PD1)

Malignes Melanom, nicht-kleinzelliges Lungen-, Nierenzell-, Leberzell-, HNO-Plattenepithel-, Urothel-, kolorektales Karzinom, Hodgkin-Lymphom

Malignes Melanom, nicht-kleinzelliges Lungen-, Nierenzell-, Magen-, HNO-Plattenepithel-, Urothelkarzinom, Hodgkin-Lymphom

Plattenepithelkarzinom der Haut

Programmed cell death 1 ligand 1 (PD-L1)

Nierenzell-, Urothel-, nicht-kleinzelliges Lungenkarzinom

Urothel-, Merkelzell-, Magenkarzinom

Urothel-, nicht-kleinzelliges Lungen­karzinom


 
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