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Deutsche Reproduktionsmedizin in Zeiten der SARS-CoV-2-Pandemie // German reprudictive medicine during SARS-CoV-2-pandemic Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie - Journal of Reproductive Medicine and Endocrinology 2021; 18 (1): 13-18 Volltext (PDF) Volltext (HTML) Summary Keywords: Coronavirus, Deutschland, Reproduktionsmedizin, SARS-CoV-2-Pandemie, ökonomischer Effekt Deutsche Reproduktionsmedizin in Zeiten der SARS-CoV-2-PandemieS. Findeklee1, G. Döhmen1, C. Döhmen2 Eingegangen am 28. Oktober 2020, akzeptiert nach Revision am 16. November 2020 (verantwortlicher Rubrik-Herausgeber: C. Thaler, München) Aus dem 1Ki.Nd, Kinderwunschzentrum Niederrhein Mönchengladbach und dem 2UniKiD, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Korrespondenzadresse: Sebastian Findeklee, Kinderwunschzentrum Niederrhein Mönchengladbach, Madrider Straße 6, 41069 Mönchengladbach, Deutschland; E-Mail: sebastian.findeklee@ki-nd.de Die Coronavirus-Pandemie hat 2020 unser gesamtes Leben verändert – sowohl im privaten als auch im medizinischen Bereich. Die Pandemie-bedingten Auswirkungen haben ein Ausmaß erreicht, das niemand von uns für möglich gehalten hätte. So wurden von der Bundesregierung und den Landesregierungen Maßnahmen zur Eindämmung der exponentiellen Ausbreitung des Virus beschlossen, die eine starke Reduzierung sozialer Kontakte beinhalteten (soziale Distanzierung) und das gesamte öffentliche Leben im März und April für ca. zwei Monate stilllegten (sogenannter Lockdown). Diese Maßnahmen zeigten aus infektiologischer Sicht Erfolg. Von Ende April bis September kam es zu einem kontinuierlichen Rückgang der Infektionszahlen. Auf der anderen Seite resultierten für die reproduktionsmedizinischen Zentren wie auch für viele andere medizinische und nichtmedizinische Einrichtungen erhebliche Belastungen, weil Behandlungen über einen längeren Zeitraum nicht mehr oder zumindest nur noch sehr eingeschränkt möglich waren. Beispielsweise empfahlen die medizinischen Fachgesellschaften, auf dem Höhepunkt der Pandemie keine elektiven Behandlungen durchzuführen. Daher widmet sich dieser Übersichtsartikel im Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie (JRE) den Auswirkungen der Coronapandemie auf die Reproduktionsmedizin in Deutschland. Es werden zunächst allgemeine epidemiologische Aspekte zur SARS-CoV-2-Pandemie präsentiert. Danach werden die Auswirkungen auf die deutsche Reproduktionsmedizin dargestellt. Anschließend folgen ein Erfahrungsbericht aus dem Kinderwunschzentrum Niederrhein in Mönchengladbach/Krefeld und ein Fazit sowie ein Ausblick in die Zukunft. Schlüsselwörter: Coronavirus, Reproduktionsmedizin, SARS-CoV-2-Pandemie, ökonomische Effekte, Deutschland The coronavirus pandemic seriously changed our entire lives in 2020 – both in the private and in the medical sector. The pandemic-related effects have reached an extent which was not imaginable before. So the federal government and state governments decided to take measures to curb the exponential spread of the virus resulting in a strong reduction of social contacts (social distancing) and a diminishing of all public life in March and April for approximately two months (so-called lockdown). These measures proofed successful from an infectious point of view. From late April to September a continuous decline in the number of new infections could be observed. On the other hand, reproductive medicine centres - like any other medical and non-medical institutions - experienced significant burdens because treatments were no longer possible or at least only to a very limited extent for a longer period of time. For example, the medical societies recommended refrain from elective treatments at the peak of the pandemic. Therefore, this review article in the Journal of Reproductive Medicine and Endocrinology (JRE) is dedicated to the effects of corona pandemic on reproductive medicine in Germany. First, general epidemiological aspects of the SARS-CoV-2 pandemic are presented. Then, the pandemic-induced effects on German reproductive medicine are described. The article terminates with an experience report from the Fertility Centre Niederrhein in Mönchengladbach/Krefeld, a conclusion and a view into the future. J Reproduktionsmed Endokrinol 2021; 18 (1): 13–8. Key words: coronavirus, reproduktive medicine, SARS-CoV-2-Pandemie, economic effects, Gemany SARS-CoV-2-Pandemie: Allgemeine epidemiologische AspekteDas Severe Acute Respiratory Syndrome (SARS) Coronavirus 2 (CoV-2) (kurz Coronavirus) wird zur Gattung der SARS-related Betacoronaviridae (Sarbecoviren) gezählt und gehört zur gleichen Familie wie das Betacoronavirus SARS-COV-1, das Anfang 2003 in weiten Teilen Chinas zu einer Epidemie mit der Folge eines schweren akuten Atemnotsyndroms geführt hat [1]. Das Coronavirus-2 wurde erstmals am 30.12.2019 in der chinesischen Stadt Wuhan beschrieben, wo es zu einer Häufung schwerer Lungenentzündungen (Coronavirus Disease 2019, kurz COVID-19) gekommen war. Von China breitete sich das Virus schnell über Asien nach Amerika und Europa und schließlich auch weltweit aus. Die ersten Infektionen in Deutschland traten am 27.01.2020 auf [2]. Am 11.03.2020 stufte die Weltgesundheitsorganisation die Infektionen mit SARS-CoV-2 als Pandemie ein. Dies geschah vor dem Hintergrund weltweit steigender Infektionszahlen sowie eines starken Anstiegs von Todesfällen, insbesondere in der Region Bergamo in der Lombardei und im Großraum Barcelona. Am 15.03.2020 rief der Freistaat Bayern den Katastrophennotstand aus. Dieser ermöglicht die Beschneidung von Grundrechten wie des Rechts auf Freizügigkeit, informationelle Selbstbestimmung, Unverletzlichkeit der Wohnung oder des Rechts auf Gewährleistung von Eigentum. Im weiteren Verlauf kam es zu einem Stilllegen weiter Teile des öffentlichen Lebens (sogenannter Lockdown). Nur noch systemrelevante Institutionen wie Gesundheitseinrichtungen oder Lebensmittelgeschäfte durften ihren Betrieb aufrechterhalten. Alle anderen Institutionen und Behörden wurden geschlossen und die Tätigkeit vom Heimarbeitsplatz aus fortgesetzt. Auch Ausgangssperren nach italienischem und spanischem Vorbild wurden in Deutschland diskutiert, letztendlich aber nicht umgesetzt. Dass es nicht zur Einführung von Ausgangssperren kam, ist auch der Verbreitung von Atemschutzmasken und dem damit einhergehenden Rückgang der Infektionszahlen zu verdanken. Die Stadt Jena führte am 06.04.2020 als erste deutsche Kommune eine Maskenpflicht im öffentlichen Nahverkehr ein. Diese wurde am 10.04.2020 auch auf Geschäfte und Arbeitsplätze mit mehr als einer Person ausgedehnt. Diesem Vorbild folgten in den darauffolgenden Wochen alle anderen Kommunen in Deutschland. Infolge der umfassenden Maßnahmen des Infektionsschutzes kam es ab Ende April zu einem deutlichen Rückgang der Infektionszahlen. Der Sommer war durch eine relative Entspannung gekennzeichnet. Seit Herbstanfang steigt die Zahl der Infektionen jedoch deutlich und liegt gegenwärtig (Mitte Oktober) laut Robert-Koch-Institut im gesamten Bundesgebiet bei ca. 7300 Neuinfektionen täglich. Daher wird in der kalten Jahreszeit ein erneuter exponentieller Anstieg der Infektionszahlen wie im Frühjahr (sogenannte zweite Welle) mit womöglich einem zweiten Lockdown befürchtet. Die aktuelle Situation (Stand 02.11.2020) ist durch einen zweiten, jedoch im Vergleich zum Frühjahr deutlich abgeschwächten Lockdown auf Grundlage einer Absprache der Bundesregierung mit den Ländern gekennzeichnet. Dieser sieht vor allem eine Beschränkung privater Kontakte sowie der privaten Freizeitgestaltung vor, greift jedoch im Gegensatz zum März nicht in die Wirtschaft ein und wurde zunächst bis zum 30.11.2020 beschlossen. Grundsätzlich geht man davon aus, dass 80 % der mit dem Coronavirus Infizierten milde Erkältungssymptome aufweisen, einen Geschmacks- oder Geruchsverlust haben oder asymptomatisch sind. Rund 20 % der Betroffenen weisen ausgeprägte Symptome auf und schätzungsweise ein Viertel davon hat einen schweren Krankheitsverlauf mit Notwendigkeit einer medizinischen Betreuung oder gar vitaler Bedrohung. Insbesondere gefährdet hinsichtlich eines schweren und gegebenenfalls letalen Verlaufs sind ältere und immunsupprimierte Menschen sowie Patienten mit ernsthaften Vorerkrankungen [3]. Eine durchgemachte Infektion hinterlässt vermutlich eine Immunität, die serologisch durch den Nachweis von IgG-Antikörpern festgestellt werden kann. Es gibt jedoch Kontroversen hinsichtlich der Dauer des Immunschutzes [4]. Die Letalität einer Coronavirus-Infektion schwankt zwischen 1 % (Deutschland) und über 10 % (Italien), wobei für diese Differenz auch Unterschiede beim Zugang zu diagnostischen Tests und medizinischer Versorgung von Land zu Land verantwortlich sein könnten [5]. Eine weitere Bevölkerungsgruppe, die besonderen Schutz und Aufmerksamkeit benötigt, sind Schwangere, wobei bisher weder eine Embryotoxizität des Virus noch Fälle einer materno-fetoplazentaren Transmission sicher nachgewiesen wurden. Der Krankheitsverlauf scheint bei Schwangeren nicht schwerer, aber länger (im Mittel 37 Tage), zu sein [6]. Das Coronavirus wird vornehmlich über Aerosole (Niesen, Husten, Ausatemluft) übertragen, weshalb Infizierten der Schutz der Umgebung durch Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes empfohlen wird. Die Diagnostik erfolgt mittels Nasen-Rachen-Abstrich als Goldstandard oder aus Sputum über eine bronchoalveoläre Lavage. Da das Coronavirus ein behülltes Virus darstellt, kann es durch konsequente Hygienemaßnahmen wie gründliches Händewaschen mit Seife über mindestens 20 Sekunden oder Desinfektion mit alkoholhaltigem Desinfektionsmittel (mindestens 30 Sekunden) eliminiert werden [7]. Weitere Präventionsstrategien der Verhinderung der Verbreitung des Virus sind das Meiden größerer Menschenansammlungen, das Einhalten eines Mindestabstands von 1,5 m und eine 14-tägige Quarantäne für Infizierte und ihre Kontaktpersonen. Das Heimtückische des Virus besteht darin, dass eine Infektiosität bereits wenige Tage nach der Infektion beginnt, Symptome jedoch erst nach ca. 5 Tagen auftreten, so dass ein unsicheres Zeitfenster von rund 3 Tagen existiert [8]. Dies erklärt die exponentielle Ausbreitung des Virus in der Anfangszeit der Pandemie. Der Einfluss der SARS-CoV-2-Pandemie auf die Reproduktionsmedizin in Deutschland im Jahr 2020Der JahresanfangDie deutschen reproduktionsmedizinischen Zentren sind zunächst gut in das Jahr 2020 gestartet. So erfolgten bis zum Beginn der Pandemie in den Monaten Januar/Februar 1960 ART- (assistierte Reproduktionstechniken-) Zyklen mehr als im Vorjahreszeitraum, was einem Plus von 10 % entspricht [9]. Empfehlungen der FachgesellschaftenObwohl reproduktionsmedizinische Zentren wie auch die übrigen medizinischen Einrichtungen als systemrelevant eingestuft wurden und ihr Betrieb von staatlichen Behörden nicht generell untersagt wurde, kam es ab Mitte März bei fortschreitender Pandemie zu einem deutlichen Rückgang der Behandlungszahlen. Dies hängt mit den Empfehlungen der Fachgesellschaften zusammen, die sich Mitte März gegen eine Fortsetzung des Regelbetriebs aussprachen. Die ESHRE (European Society of Human Reproduction and Embryology) veröffentlichte am 14.03.2020 Empfehlungen, wonach bis auf Weiteres keine neuen ART-Zyklen gestartet werden sollten. In Abhängigkeit von der lokalen Situation lautete die Empfehlung, dass begonnene ovarielle Stimulationen im Rahmen der ART entweder abgebrochen werden oder es sollte mit dem Paar die Kryokonservierung von befruchteten Eizellen/Embryonen zur Vermeidung eines Embryotransfers bei im März noch nicht vollständig absehbaren Folgen der Pandemie besprochen werden [10]. Ganz ähnlich äußerte sich auch die amerikanische Fachgesellschaft ASRM (American Society for Reproductive Medicine). Der Vorstand der DGRM (Deutsche Gesellschaft für Reproduktionsmedizin) hatte am Wochenende des 14./15.03.2020 die schwierige Entscheidung zu treffen, ob er sich den restriktiven Empfehlungen der ESHRE anschließen oder stattdessen für die deutsche Reproduktionsmedizin eine permissive Behandlungsstrategie empfehlen sollte. Dabei galt es, die Interessen der Mitgliedszentren und ihres Personals an der Durchführung von Kinderwunschbehandlungen – also wirtschaftliche Interessen – mit der möglichen gesundheitlichen Gefährdung der Patientinnen und Mitarbeiter sowie einer bei unverändertem Betrieb möglicherweise weiter fortschreitenden Virusausbreitung – also gesamtgesellschaftlichen Interessen – abzuwägen. Letztendlich entschied sich der Vorstand der DGRM am 16.03.2020 dafür, sich den Empfehlungen der ESHRE anzuschließen. Diese äußerst komplizierte, wirtschaftlich schwierige Entscheidung wurde unter dem Eindruck der fortschreitenden Pandemie, die ein bis dahin nicht gekanntes Ausmaß erreicht hatte, und der medialen Präsenz von vor den Notaufnahmen liegenden Patienten und Leichen abtransportierenden Militärfahrzeugen in Bergamo sowie der Ausrufung des Katastrophennotstands in einzelnen Bundesländern getroffen. Wenngleich solche Bilder in Deutschland zum Glück nicht präsent waren, so gelangten auch hierzulande Mitte März Gesundheitsbehörden, Ärztekammern und Politik an ihre Belastungsgrenzen und die Gesundheitsämter waren zum Teil überfordert. Es war absehbar, dass von öffentlichen Stellen keine Anordnungen bzw. Empfehlungen bezüglich des weiteren Vorgehens in der Reproduktionsmedizin in der SARS-CoV-2-Pandemie zu erwarten sind. Somit war klar, dass die Reproduktionsmedizin selbst das Heft des Handelns in die Hand nehmen und entscheiden musste. Daher entschloss sich der Vorstand der DGRM für das besagte restriktive Vorgehen, weil nach einem sorgfältigen Abwägen von Für und Wider der Gesundheitsschutz aller als höheres Gut im Vergleich zu wirtschaftlichen Interessen eingestuft wurde. Es handelte sich gewissermaßen um den reproduktionsmedizinischen Beitrag für die Gesellschaft, um nicht in eine gesundheitspolitische Notfallsituation zu kommen. Mitte März erschien es noch völlig unklar, wie sich die weitere Situation entwickelt und vonseiten der Politik wurde auch darum gebeten, die medizinische Expertise auf Intensivbehandlungen zu bündeln, um für den äußersten Notfall gerüstet zu sein. Daher wurden an den Kliniken zu dieser Zeit auch keine elektiven Operationen durchgeführt. Hinzu kam, dass durch die Ausrufung des Katastrophenfalls im Bundesland Bayern auch eine Ausgangssperre in greifbarer Nähe war und begonnene Behandlungen nicht mehr hätten fortgeführt werden können sowie Patientinnen mit einem schweren Überstimulationssyndrom womöglich nicht mehr hätten adäquat versorgt werden können. Angenommen, man hätte Mitte März an allen reproduktionsmedizinischen Zentren Deutschlands unverändert ovarielle Stimulationsbehandlungen durchgeführt, so hätten sich Ende der Woche mehrere tausend Frauen in der Stimulationsphase befunden. Bei einer fehlenden fachlichen Versorgung im Rahmen eines Überstimulationssyndroms wären betroffene Patientinnen akut gefährdet gewesen. Pulmonale Komplikationen der Überstimulation wie Pleuraergüsse wären zudem mit einer deutlich erhöhten Suszeptibilität gegenüber dem Coronavirus einhergegangen. Die Belastungsgrenzen des deutschen Gesundheitssystems waren zum damaligen Zeitpunkt nicht sicher prognostizierbar. Jede bei einer Kinderwunschpatientin auftretende Komplikation wäre eine zu viel gewesen. Höhepunkt der Pandemie im März und AprilInfolge der allgemeinen Situation und der besagten Empfehlungen der Fachgesellschaften trat an den deutschen reproduktionsmedizinischen Zentren in den Monaten März/April ein Minus von 5420 ART-Zyklen, entsprechend einem Rückgang von 31 % gegenüber dem Vorjahr, ein. Hierbei zeigte sich jedoch in Abhängigkeit von der Trägerschaft des Zentrums ein äußerst differenziertes Bild [9]. Besondere Situation der universitären reproduktionsmedizinischen ZentrenNahezu alle Unikliniken waren durch Verbote oder selbstauferlegte Gebote keine neuen ART-Zyklen zu starten, mit einem Rückgang um 61 % am stärksten betroffen. Einige universitäre Einrichtungen wie das Düsseldorfer UniKiD mussten den laufenden Betrieb komplett einstellen. Die angestellten Reproduktionsmediziner wurden in der Notaufnahme für den Fall einer medizinischen Krisensituation eingearbeitet. Viele privat geführte Praxen konnten dagegen ihre reproduktionsmedizinische Tätigkeit nahezu unverändert fortführen. Lediglich 14 von 53 Praxen (26,4 %) starteten selbstauferlegt keine neuen Behandlungszyklen. Zur Erfassung der genauen Situation der Reproduktionsmedizin während der Pandemie führte das D·I·R eine Umfrage der Mitgliedszentren durch. An dieser nahmen 53 nichtuniversitäre und 19 universitäre Zentren teil. Von den insgesamt 72 ausgewerteten reproduktionsmedizinischen Zentren starteten 41 (56,9 %) auch auf dem Höhepunkt der Pandemie neue Behandlungszyklen. 44 % der Zentren erlebten eine geringere Nachfrage durch Kinderwunschpaare, 44 % eine unveränderte Nachfrage und 12 % eine höhere Nachfrage nach Kinderwunschbehandlungen als vor Beginn der Pandemie. Letztendlich kam es in den Monaten März und April in allen Regionen unabhängig von den Landesgesetzen zu einem Rückgang der Behandlungszyklen. Die Abbildungen 1–4 sowie die Tabellen 1 und 2 zeigen die Auswirkungen der Corona-Beschränkungen auf die Behandlungszahlen an den deutschen reproduktionsmedizinischen Zentren [9]. Aus den Abbildungen und Tabellen geht hervor, dass die universitären reproduktionsmedizinischen Zentren besonders hart von der Pandemie getroffen wurden. So fühlten sich die Dekanate der Universitätsmedizin den Vorgaben des Bundesgesundheitsministeriums mit der Forderung nach einem Aussetzen elektiver Behandlungen, um auf den äußersten medizinischen Notfall vorbereitet zu sein, in besonderem Maße verpflichtet. Beispielhaft sei hier das UniKiD Düsseldorf genannt. Ähnliche Fälle wurden auch aus anderen Bundesländern berichtet [11]. Modifizierte Empfehlungen der FachgesellschaftenAls eine gewisse Entspannung der Pandemiesituation eintrat, wurden vom Vorstand der DGRM und danach von der ESHRE Korrekturen der Empfehlungen vorgenommen. Diese wurden am 15.04.2020 bekanntgegeben und später teilweise von der ASRM übernommen. Auch die modifizierten Empfehlungen sahen einen sehr restriktiven Umgang mit ART-Behandlungen aufgrund der äußerst begrenzten Datenlage zu Schwangerschaftskomplikationen durch eine SARS-CoV-2-Infektion vor. Die Empfehlungen setzten auf die Eigenverantwortung der Ärztinnen und Ärzte, nach individueller Abwägung und unter Berücksichtigung der regionalen Situation, gemeinsam mit den Paaren über den Start einer medizinisch indizierten ART-Behandlung zu entscheiden. Als Conditio sine qua non wurde dabei das Fortbestehen effizienter Maßnahmen des Infektionsschutzes der Paare und Mitarbeiter wie Begrenzung der Zahl der in der Praxis anwesenden Personen oder Hygienevorschriften betrachtet. Diese modifizierten Empfehlungen sind im weitesten Sinne noch heute gültig. Infolge der Modifikation der Empfehlungen der Fachgesellschaften kam es ab Ende April zu einer Trendwende bei den Behandlungszahlen und im Jahresverlauf bei einigen Zentren zu einer Kompensation des Behandlungsrückgangs im März und April. SARS-CoV-2-Pandemie: Erfahrungsbericht aus dem Kinderwunschzentrum Niederrhein in MönchengladbachDas Kinderwunschzentrum Niederrhein war als eines der ersten reproduktionsmedizinischen Zentren in Deutschland direkt von der SARS-CoV-2-Pandemie betroffen. So musste sich der Leiter des Zentrums am 10.03.2020 in Quarantäne („häusliche Absonderung“) begeben, weil Mitglieder im familiären Umfeld nach einem Skiurlaub in Ischgl positiv auf das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 getestet wurden. Er zog sich daraufhin zurück und leitete 4 Wochen lang vom Homeoffice aus die Praxis. Dies war insofern besonders belastend, da zu diesem Zeitpunkt der Neubau der Praxis in vollem Gange war. Die Arbeit wurde zum Teil durch die in der Praxis arbeitenden Kolleginnen und Kollegen übernommen. Es wurden vom Zentrumsleiter bereits Ende Februar unter dem Eindruck der im Nachbarkreis Heinsberg stark ansteigenden Infektionszahlen folgende Strategien entwickelt, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen und noch einen Praxis-Notbetrieb aufrechtzuerhalten:
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