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Trapphoff T et al.  
COVID-19 im ART-Labor // COVID-19 in ART-Laboratory

Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie - Journal of Reproductive Medicine and Endocrinology 2021; 18 (1): 33-37

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Keywords: ART-LaborCOVID-19

COVID-19 im ART-Labor

Gemeinsamer Übersichtsartikel von AGRBM und DGRM zu COVID-19 und den möglichen Risiken im ART-Labor

T. Trapphoff1, D. Gutknecht2, K. Kienast3, D. M. Baston-Büst*4, V. Nordhoff*5

Eingegangen am 21.Oktober 2020, angenommen nach Revision am 3. November 2020 (verantwortlicher Rubrik-Herausgeber: C. Thaler, München)

Aus: 1Kinderwunschzentrum Dortmund; 2profertilita, Zentrum für Fruchtbarkeitsmedizin, Regensburg; 3MVZ Fertility Center Hamburg GmbH; 4Universitätsklinikum Düsseldorf, ­Frauenklinik, UniKiD, Düsseldorf; 5Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie, Universitätsklinikum Münster

*corresponding authors

Korrespondenzadressen: PD Dr. Verena Nordhoff, Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie, Universitätsklinikum Münster, D-48149 Münster,
Albert-Schweitzer-Campus 1, Geb. D11; E-Mail: verena.nordhoff@ukmuenster.de;
Dr. rer. nat. Dunja M. Baston-Büst, Frauenklinik, UniKiD, Universitätsklinikum Düsseldorf, D-40225 Düsseldorf, Moorenstraße 5; E-Mail: dunja.baston-buest@med.uni-duesseldorf.de

Laboratorien zur Be- und Verarbeitung von Keimzellen und Geweben (ART-Labor) arbeiten seit Beginn der Einführung von assistierten reproduktiven Verfahren (ART) in der Annahme, dass die gewonnenen Zellen potentiell infektiös sind. Präventive Maßnahmen, die in nationalen und internationalen Richtlinien gut reguliert und den ART-Laboren implementiert sind, geben klare Vorgaben, wie bei der Kultur, der Kryokonservierung oder Lagerung biologischer Proben zu verfahren ist. Daher ist nach heutigem Kenntnisstand kein erhöhtes Risiko durch das aktuelle Corona-Virus zu erwarten, denn weder scheinen die Keimzellen als Reservoir für das Virus zu dienen, noch ist mit einer Transmission während der Kultur, der Kryokonservierung oder der Lagerung in flüssigem Stickstoff zu rechnen.

Schlüsselwörter: COVID-19, ART-Labor

COVID-19 in ART-Laboratory. Since the establishment of assisted reproductive technique (ART) clinics, ART laboratories have worked with the understanding that they are dealing with potentially hazardous cells. Preventive measures have long been implemented into the daily routine in ART labs. Guidelines describing these preventive measures are published by national and international societies. By following these guidelines on how to culture, cryopreserve or store gametes or tissues, the potential risk of transmission is non-existent. This remains true for the current corona pandemic. J Reproduktionsmed Endokrinol 2021; 18 (1): 33–7.

Key words: COVID-19, ART-laboratory

Die COVID-19 Pandemie, hervorgerufen durch das Severe Acute Respiratory Coronavirus-2 (SARS-CoV-2), zählt sicherlich zu den großen Herausforderungen dieser Zeit. Und dies nicht nur aus wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Sicht im täglichen Leben, sondern im Speziellen auch in Bezug auf unerfüllten Kinderwunsch und den Umgang mit potentiell infektiösem Material im Rahmen der Kultivierung, Kryokonservierung und Lagerung von Keimzellen, Zygoten, Geweben und Embryonen.

Seit Beginn der Einführung von assistierten reproduktiven Verfahren (ART) ist eines der grundlegenden Prinzipien in einem ART-Labor, dass die Be- und Verarbeitung der Gewebe und Zellen immer in der Annahme einer potentiellen Infektiosität erfolgt. Die Beschreibung der durchzuführenden Arbeiten und die dabei zu treffenden präventiven Maßnahmen sind bereits durch nationale und internationale Richtlinien sehr gut reguliert und implementiert. Die Arbeitsgemeinschaft Reproduktionsbiologie des Menschen (AGRBM) und die Europäische Gesellschaft für humane Reproduktion und Embryologie (ESHRE) geben in ihren Leitlinien zum verantwortlichen Arbeiten im ART-Labor klare Vorgaben und beschreiben geeignete präventive Maßnahmen betreffend den Umgang mit (potentiell) infektiösem Material bei der In-vitro-Kultur, Kryokonservierung und Lagerung biologischer Proben [1, 2]. Zusammen mit dem Einsatz von persönlicher Schutzausrüstung zum Schutz der Mitarbeiter existieren daher bereits umfassende Vorschriften zur Infektionsprävention im ART-Labor. Diese Vorschriften gelten für alle potentiellen Keime oder Viren.

Grundsätzlich können alle humanen Zellen, Gewebe oder auch Körperflüssigkeiten ein Reservoir für infektiöse Partikel darstellen. Daher birgt die In-vitro-Kultur und die Kryokonservierung humaner Keimzellen und Embryonen zusätzliche Infektionsrouten für das SARS-CoV-2-Virus: die horizontale Transmission in vitro zwischen Keimzellen und Em­bryonen verschiedener Patienten (-Paare), als auch die vertikale Transmission durch den Transfer infizierter Embryonen oder aufbereiteter Spermien.

Für die Risikoabschätzung müssen folgende Fragen geklärt werden:

  • Können kultivierte oder kryokonservierte Gameten, Embryonen und Gewebe einen Vektor für SARS-CoV-2 darstellen?
  • Kann kultiviertes oder kryokonserviertes Material eine Kreuz-Kontamination weiterer Proben im Inkubator oder im Stickstoff-Tank verursachen?
  • Kann durch die Kryokonservierung ein Reservoir an Viren geschaffen werden, das in Zukunft neue Infektionswellen auslösen könnte?

Für die Beantwortung der Fragen fassen wir den aktuellen Stand zusammen zu:

1. den potentiellen Eintrittspforten von SARS-CoV-2 in die Keimzellen,

2. möglichen viralen Reservoirs in Körperflüssigkeiten,

3. möglichen vertikalen und horizontalen Transmissionswegen,

4. der möglichen horizontalen Transmission über flüssigen Stickstoff im Rahmen der Kryokonservierung und Lagerung.

1. Intrazelluläre Eintrittspforten des SARS-CoV-2-Virus

Eine wichtige Frage im Umgang mit Keimzellen, Embryonen und humanem Gewebe im ART-Labor, im Besonderen bei der In-vitro-Kultur und Kryokon­servierung, ist, welche Zellen oder ­Körperflüssigkeiten ein potentielles Reservoir für SARS-CoV-2 darstellen können. Welche Zellen können das Virus aufnehmen und potentiell bei der Kultivierung, der Kryokonservierung und Lagerung eine vertikale Transmission hervorrufen?

Wie auch bei den vergleichbaren Erkrankungen der Atemwege durch SARS und MERS, erfolgt der Eintritt von SARS-CoV-2 über das Angiotensin-converting enzyme 2 (ACE2) an der Zelloberfläche, gefolgt von der Aktivierung und Einschleusung in die Wirtszelle durch die Serinprotease Transmembrane ­protease serine subtype 2 (TMPRSS2; [3]). Bei Betrachtung der Eintrittspforten muss jedoch genau zwischen der tatsächlichen Proteinexpression und der Abundanz auf mRNA-Ebene unterschieden werden.

2. Virale Reservoirs für SARS-CoV-2

2.1 Eizellen und Embryonen als potentielles Reservoir für SARS-CoV-2

Eizellen sind ein natürliches Reservoir für Transkripte. Diese werden während der Follikulogenese akkumuliert und erst nach der Befruchtung auf Proteinebene exprimiert [4]. Ein Nachweis auf Proteinebene von ACE2 oder TMPRSS2 in humanen Eizellen konnte so bislang nicht gezeigt werden, auch wenn zumindest ACE2-mRNA in Eizellen, Zygoten und Blastozysten vorhanden ist [5, 6]. Im Gegensatz dazu wurde ACE2 in ovariellen Zellen nachgewiesen, eine Proteinexpression von TMPRSS2 konnte hingegen nicht gezeigt werden [7, 8].

Anzumerken ist allerdings, dass die vorhandene Proteinexpression lediglich auf Daten von drei Patientinnen unklaren Alters beruhen und es sich zudem um ein Zellgemisch unter anderem aus ­Granulosa-, Bindegewebs- und Endothelzellen gehandelt hat. Entsprechend können zum jetzigen Zeitpunkt keine konkreten Aussagen getroffen werden, in welchen ovariellen Zelltypen ACE2 zu welcher Lebensphase tatsächlich vorliegt. Weitere Studien mit Patientinnen im reproduktiven Alter und definierten Zellpopulationen sind entsprechend notwendig.

Ob darüber hinaus eine unspezifische Bindung von SARS-CoV-2 an die Zona pellucida möglich ist, bedarf noch der weiteren Klärung. Unklar ist auch, ob SARS-CoV-2 in der Follikelflüssigkeit zu finden ist und somit als mögliche Kontaminationsquelle dienen könnte. Aufgrund der ACE2-Expression in somatischen Begleitzellen besteht zumindest ein theoretisches Risiko bei Arbeiten mit Kumulus-Eizell-Komplexen (COC) und Follikelflüssigkeit. Allerdings wurde in 16 Eizellen von zwei asymptomatischen SARS-CoV-2-positiven Patientinnen keine Virus-RNA nachgewiesen [9]. Weitere Daten, insbesondere für symp­tomatische Patientinnen, liegen zum ­jetzigen Zeitpunkt jedoch nicht vor. Bei der Eizellsuche sollte, wie schon bisher, auf sorgsames Arbeiten unter Vermeidung von Tropfenbildung geachtet werden. Generell ist es sinnvoll, Sammelbehälter für die Follikelflüssigkeit nach der ­Eizellsuche fest verschlossen zu ent­sorgen.

Um das Risiko einer Transmission der Viren in der Kultur zu minimieren, empfiehlt sich eine sukzessive Verdünnung durch mehrfache Waschschritte. Pro Verdünnungsschritt, bei dem die Keimzellen oder Embryonen mit wenigen Mikrolitern der Ursprungslösung in ein größeres Volumen überführt werden, nimmt die (potentielle) Viruslast stetig ab. Studien im Rindermodell konnten bereits vor mehr als 30 Jahren zeigen, dass das sukzessive Verdünnen und Waschen im Medium zu einer Herabsetzung der Viruslast von ungebundenen Viren führt [10].

In der täglichen Routine im ART-Labor werden die gewonnenen COCs unmittelbar nach der Punktion in frisches Medium überführt, gewaschen und anschließend bearbeitet. Eine sukzessive Verdünnung ist daher bereits aktuell gewährleistet. Es erfolgen zudem anschließend weitere, zusätzliche Verdünnungsschritte nach Bearbeitung und Kryokonservierung, die sinnvolle Maßnahmen zur Risikominimierung darstellen. Für die intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI), Polkörper- oder Trophektoderm-Biopsie und vor der Kryokonservierung ist das Entfernen der Kumuluszellen durch eine Hyaluronidase-Behandlung obligatorisch, gefolgt von weiteren Waschschritten im Medium. So wäre das Entfernen der Kumuluszellen, als potentiell infektiöse Zellen, damit ebenfalls schon gegeben. Der Nutzen der Hyaluronidase-Behandlung auf möglicherweise an die Kumuluszellen gebundene SARS-CoV-2-Viren ist unklar, könnte aber potentiell einen weiteren positiven Effekt haben. Bei der Denudation sollte zudem sorgsam darauf geachtet werden, dass möglichst alle Kumuluszellen als potentielle Wirtszellen entfernt werden. Insgesamt kann also das Risiko einer Persistenz von infektiösem Material und einer daraus resultierenden Quelle für nachfolgende Kontaminationen bei der Kultur und Kryokonservierung von weiblichen Keimzellen und Zygoten als sehr gering eingeschätzt werden.

In Blastozysten wurde ACE2 und auch TMPRSS2 auf Transkript-Ebene nachgewiesen [6, 11, 12]. Weitere Transkripte, welche in der viralen Infektions­kaskade für SARS-CoV-2 involviert sind, konnten ebenfalls in Blastozysten nachge­wiesen werden [5]. Auf Proteinebene gibt es zum aktuellen Zeitpunkt keine Daten für die Abundanz von ACE2 und TMPRSS2 in humanen Blastozysten. Dennoch könnte die Co-Expression von ACE2, TMPRSS2 und weiteren Produkten der Infektionskette auf mRNA-Ebene einen Hinweis dafür liefern, dass eine Infektion von Präimplantationsembryonen zumindest theoretisch möglich ist. Eine vertikale Transmission ist daher mög­licherweise nicht ganz auszuschließen.

Anzumerken bleibt an dieser Stelle noch die besondere Rolle der Zona pellucida als natürliche Barriere der Keimzellen und Embryonen gegenüber Keimen und Viren. Die Struktur und Permeabilität der Zona pellucida verändert sich nach Befruchtung und früher Embryogenese fortwährend. In unbefruchteten Eizellen wird die Zona pellucida von kleinen Kanälen durchzogen und weist eine poröse Struktur auf [13]. In befruchteten Eizellen bis zum Blastozystenstadium erfolgt eine Kompaktierung und Verdickung ohne den Nachweis von porösen Strukturen [13, 14].

2.2 Ejakulat als potentielles Reservoir für SARS-CoV-2

Die bisher publizierten Ergebnisse zum Nachweis von SARS-CoV-2 im Ejakulat zeigen zum Teil sehr kontroverse Ergebnisse. In einer Studie von Li et al. [15] wurde in 4 von 15 SARS-CoV-2 positiven und akut erkrankten Patienten und in 2 von 23 in der Erholung befindlichen Patienten das Virus mittels PCR nachgewiesen. Dem gegenüber liegen eine Vielzahl an Studien vor, die keinen Nachweis von SARS-CoV-2 in den Samenproben von Patienten zeigen, weder in der rekonvaleszenten noch in der akuten Phase [16–22]. Zusammengefasst weisen die Fallzahlen ein klares Ungleichgewicht zwischen dem Nachweis von SARS-CoV-2 im Ejakulat (n = 6/38) und der Abwesenheit von SARS-CoV-2 im Ejakulat bzw. im Seminalplasma (n = 0/130) auf, dies sowohl bei akut erkrankten als auch bei rekonvaleszenten Patienten. Limitierend kommt hinzu, dass die Studie von Li et al. [15] keine konkreten Angaben zur Gewinnung und Analyse der Proben aufweist, so dass eine virale Kontamination der Proben durch weitere Quellen nicht ausgeschlossen werden kann. Wichtig ist hier anzumerken, dass es sich um positive PCR-Nachweise handelt und nicht um den Nachweis virulenter Partikel in den Samenproben. Weitere Studien mit standardisierten Verfahren hinsichtlich der Zeit von Gewinnung der Probe bis zur RNA-Isolation, der Methode zur RNA-Isolation bis hin zur Menge des eingesetzten Ejakulatvolumens sind notwendig.

Generell sollten für die Bearbeitung von Ejakulaten Einmalartikel verwendet und vorschriftsgemäß entsorgt werden. Eine generelle separate Lagerung kryokonservierter Ejakulate oder Hodengewebeproben während der COVID-19-Pandemie, also auch von Patienten ohne nachweisbare COVID-Symptome, ist nicht notwendig.

Unabhängig von den SARS-CoV-2­Nachweisen im Ejakulat ist das Verständnis über potentielle Infektionswege von Spermien oder testikulärem Gewebe hilfreich für die Risikoabschätzung. Vergleichbar zum Ovar wurde ACE2 als Rezeptor für SARS-CoV-2 auch in testikulärem Gewebe auf Protein- und Transkriptebene in Leydig- und Sertoli-Zellen nachgewiesen [23, 24]. ACE2-mRNA konnte in Spermatogonien nachgewiesen werden, wohingegen die Expression in Spermatozyten, Spermatiden und Spermien, wenn überhaupt, nur in sehr geringem Maße zu finden war [19, 25, 26]. Die Expression von TMPRSS2 konnte in Spermatogonien, Leydig- und Sertoli-Zellen nachgewiesen werden [26]. Obwohl die genauen Mechanismen noch nicht vollständig geklärt sind, scheint ACE2 eine Rolle in der testikulären Regulation und Funktionalität zu spielen [25]. Unterstrichen wird diese Annahme dadurch, dass eine SARS-CoV-2-Infektion unter anderem zu einem niedrigeren Verhältnis von Testosteron zu LH (Luteinisierendes Hormon) führen und möglicherweise eine virale Orchitis nach sich ziehen kann [19, 27]. Darüber hinaus bleibt festzuhalten, dass die Blut-Hodenschranke permeabel für unterschiedliche Viren ist – HIV kann hier als prominentes Beispiel genannt werden –, daher könnte dies möglicherweise auch für SARS-CoV-2 gelten [28]. Eine spezifische SARS-CoV-2-Bindung an reife Spermien ist zwar nicht ausgeschlossen, nach jetzigem Kenntnisstand aber sehr unwahrscheinlich. Ob und inwieweit eine unspezifische Kontamination der Spermien im Nebenhoden oder nach der Ejakulation erfolgen kann, ist ebenfalls noch unklar.

3. Vertikale und horizontale Transmissionswege bei der In-vitro-Kultur

Die vertikale Transmission einer an ­COVID-19 erkrankten Schwangeren auf den Embryo/Fötus in der Schwangerschaft konnte bislang weder für SARS-CoV-2 noch für andere SARS- oder MERS-Erreger nachgewiesen werden [29]. Bei positiv getesteten Neugeborenen liegt die Vermutung einer peripartalen Infektion nahe [30]. Erste Hinweise deuten allerdings darauf hin, dass das Risiko für eine Ansteckung des Feten höher ist, je näher die Erkrankung der Mutter am errechneten Entbindungstermin liegt [31, 32]. Schwangere Frauen haben im Allgemeinen ein höheres Risiko an ­COVID-19 zu erkranken, mit oft schlimmeren Verläufen und einem erhöhten Risiko für vorzeitige Geburt und Präeklampsie und einer höheren Sectio-Inzidenz [33]. Die Verfügbarkeit geeigneter Medikamente zur Behandlung einer SARS-CoV-2-Infektion in Schwangerschaft und Stillzeit ist limitiert.

Eine horizontale Transmission des Virus von Keimzellen untereinander oder von Embryo zu Embryo in verschiedenen Schalen oder „wells“ derselben Schale in der Kultur, z. B. in einem gemeinsamen Inkubator, schließen wir aufgrund der aktuellen Standards in ART-Laboren aus. Neben der Desinfektion von Arbeitsflächen und Inkubatoren mit geeigneten Mitteln, wie z. B. quartären Ammoniumverbindungen, erfolgt die Kultur der Embryonen in Deutschland unter Verwendung von Einmalverbrauchsartikeln (u. a. Petrischalen/„time lapse wells“), zumeist mit Ölüberschichtung, und in mit Deckel versehenen Kulturschalen. Ein Übertreten von Viruspartikeln kann daher ausgeschlossen werden.

4. Kontakt mit flüssigem Stickstoff

Durch den konsequenten Einsatz von Einmalartikeln im ART-Labor und die strikte Trennung von Arbeitsabläufen ist eine horizontale Kontamination zwischen Keimzellen oder Embryonen von unterschiedlichen Patientenpaaren praktisch ausgeschlossen. Dies gilt auch für die Lagerung kryokonservierter Proben in flüssigem Stickstoff. Es konnte zwar gezeigt werden, dass diverse Bakterien und Pilze im Sediment von Stickstoff-Lagergefäßen vorhanden sind [34–36], interessanterweise handelte es sich allerdings um Mikroorganismen aus der Umwelt, z. B. unserer Luft. Die Mikroorganismen waren somit nicht durch Proben aus der Kultur eingetragen worden. Beim Einfrieren entstehen atmosphärische Eiskristalle über dem Lagergefäß während der Öffnung oder an kalten Oberflächen und gelangen so in die Behälter. Dies ist also ein natürlicher Prozess und bei jeder Art der Kryolagerung zu finden.

Nicht nur Bakterien und Pilze, sondern auch Viren sind in flüssigem Stickstoff zu finden (z. B. Hepatitis B, Vesicular stomatitis virus [VSV] oder Pseudomonas spp.) [37–39]. Daten zur Präsenz von SARS-CoV-2 in flüssigem Stickstoff liegen bisher aber noch keine vor.

Die Literatur belegt das insgesamt sehr geringe Risiko einer Kontamination durch die Verwendung von flüssigem Stickstoff und die Nutzung von gemeinschaftlichen Lagerbehältern bei der Verwendung kommerzieller Probensysteme zur Kryokonservierung (siehe auch die SWOT-Analyse von Alteri et al. [40]). Zum jetzigen Zeitpunkt ist kein einziger bestätigter Fall in der Reproduktionsmedizin bekannt, bei dem eine Krankheitsübertragung von Patient zu Patient durch die Verwendung und Lagerung im flüssigen Stickstoff erfolgt ist [41]. Das Risiko einer Übertragung durch flüssigen Stickstoff kann daher als sehr gering eingeschätzt werden.

Eine spanische Studie mit klarem Praxisbezug konnte zeigen, dass die Vitrifikation und anschließende Lagerung und Kultur von Eizellen bzw. Embryonen von immunologisch-positiven Patienten (Humanes Immundefizienz-Virus [HIV], Hepatitis-C-Virus [HCV], Hepatitis-B-Virus [HBV]) nicht zur Kontamination benachbarter Proben führte [42].

Einzelne Forscher schlagen die Verwendung von sterilem oder sterilisiertem Stickstoff für den Prozess der Kryokonservierung und beim Auftauen vor. Zwar kann eine UV-Behandlung von flüssigem Stickstoff Mikroorganismen (Stenotro­phomonas maltophilia, Pseudomonas aeruginosa, Escherichia coli und Aspergillus niger) vorübergehend eliminieren [43, 44], aber zur viralen Elimination liegen keine Studien vor. Da eine Transmission in flüssigem Stickstoff allerdings als extrem unwahrscheinlich anzusehen ist, ist eine Sterilisation daher unnötig.

Möglicherweise könnte eine Wischdesinfektion der Kleingefäße für die Kryokonservierung und den Auftauprozess nach jeder Nutzung sinnvoll sein. Jedoch müssen hier die Herstellervorschriften zur Reinigung beachtet werden. Prinzipiell sind Mittel mit nachgewiesener Wirksamkeit gegen behüllte Viren und dem Wirkungsbereich „begrenzt viruzid“ anzuwenden [45]. Idealerweise sind hierbei alkoholfreie und keine VOC-freisetzenden Substanzen zu bevorzugen (VOC: volatile organic compounds).

Um bei der Lagerung der Proben den direkten Kontakt mit flüssigem Stickstoff in den Lagertanks zu umgehen, könnte das Kryokonservierungsgut in der Gasphase gelagert werden. Die Effektivität der Gasphasenlagerung von humanen, vitrifizierten Eizellen und Spermien wurde gezeigt [46, 47], in tierischen Modellsystemen existieren vergleichbare Studien für Embryonen [48]. Dennoch konnten auch in der Gasphase Mikroorganismen nachgewiesen werden, eine Kontamination zwischen biologischen Proben bei der Gasphasenlagerung war jedoch nicht nachweisbar [49, 50]. Zudem sei erwähnt, dass die Lagerung in der Gasphase eine größere technische Herausforderung für das ART-Labor darstellt [51]. Allerdings, sofern technisch korrekt umgesetzt, und mit einer konstanten Temperatur der Gasphase unterhalb der Glasübergangstemperatur („glass transition“), ist neben dem erhöhten Aufwand kein weiteres Risiko vorhanden.

Fazit

An erster Stelle steht die Identifikation möglicher infizierter Patientinnen und Patienten. Bei Vorliegen einer akuten Infektion wird aktuell angeraten, von einem Embryotransfer abzusehen (aktuelle ESHRE-Guideline vom Oktober 2020 zu finden auf www.eshre.eu [52]). Ob in dieser Situation die Behandlung vor Punktion abgebrochen wird oder die Freeze-all-Strategie angewandt wird, sollte mit den betroffenen Patienten besprochen werden.

Unter Berücksichtigung geeigneter Maßnahmen zur Risikominimierung, stellt die Kultivierung oder Kryokonservierung von Eizellen, Vorkernstadien, Embryonen, Spermien und Hodengewebe nach aktuellem Kenntnisstand kein erhöhtes Risiko dar; weder als Reservoir für SARS-CoV-2 noch als Rezipient während der Kryokonservierung und Lagerung.

Geeignete Maßnahmen umfassen: i) mehrere Waschschritte der COCs unmittelbar nach der ­Follikelpunktion, ii) möglichst alle Kumuluszellen als potentielle Wirtszellen vor der Weiterverarbeitung entfernen. Die Kryokonservierung und das Auftauen beinhaltet iii) weitere Verdünnungs- und Waschschritte, so dass die potentielle Viruslast, sofern überhaupt vorhanden, nach jetzigem Wissensstand kein signifikantes Risiko darstellt.

Interessenkonflikt

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

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