Der Koalitionsvertrag der Bundesregierung:
Was sich in der Reproduktionsmedizin verändern soll
H. Kentenich1, J. Taupitz2, U. Hilland3
Eingegangen am 1. März 2022, angenommen am 3. März 2022 (verantwortlicher Rubrik-Herausgeber: G. Griesinger, Lübeck)
Aus dem 1Fertility Center Berlin, dem 2Institut für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik der Universitäten Heidelberg und Mannheim und 3Bocholt
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Heribert Kentenich, Fertility Center Berlin, D-14050 Berlin, Spandauer Damm 130, Haus 14; E-Mail: info@fertilitycenterberlin.de
Die neue Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag 2021 gesetzliche Änderungen im Bereich der Reproduktionsmedizin geplant.
Auf Grundlage des § 27a SGB V sollen ungewollt Kinderlose besser unterstützt werden, auch unabhängig vom Familienstand und sexueller Identität. Die für die Finanzierung geltenden Altersgrenzen und Zahl der finanzierten Behandlungszyklen sollen überprüft werden. Der Bund soll aufgrund der Bund-Länder-Förderinitiative 25 % der Kosten unabhängig von der Landesbeteiligung übernehmen. Außerdem soll eine vollständige Übernahme der Kosten überprüft werden. Die Kosten der Präimplantationsdiagnostik sollen übernommen werden.
Der elektive Single-Embryo-Transfer soll legal werden. Das Verbot der Eizellspende und das Verbot der Leihmutterschaft sollen überprüft werden.
Bezüglich des Familienrechts soll eine automatische Zuordnung eines geborenen Kindes zu zwei Frauen möglich sein, so dass die bisherige Praxis der Stiefkindadoption verändert wird.
Schlüsselwörter: Koalitionsvertrag, Reproduktionsmedizin, Eizellspende, Leihmutterschaft, Familienrecht
The coagulation agreement: Change in reproductive medicine. The new federal government fixed in the coalition agreement 2021 the plans regarding legal changes in reproductive medicine.
Based on § 27a SGB V unwanted childless people should receive better support, independent of their family status and their sexual identity. Financial support regarding age limits and number of treatment cycles will be reappraised. The federal government will take over 25% of all costs independent of the support of the federal states. Additionally, complete funding of all costs will be revised. The expenses for preimplantation diagnostic tests will be taken.
Elective single-embryo transfer is to become legal. The ban on egg donation and the ban on surrogate motherhood are to be reviewed.
With regard to family law, automatic assignment of a born child to two women is to be possible, thus changing the current practice of stepchild adoption. J Reproduktionsmed Endokrinol 2022; 19 (2): 86–90.
Key words: coalition agreement, reproductive medicine, egg donation, surrogacy, family law
Einleitung
Jede neue Bundesregierung legt in einem Koalitionsvertrag das Arbeitsprogramm für die jeweilige Legislaturperiode dar. Im aktuellen Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition finden sich – verstreut auf mehrere Kapitel – Aussagen, die sich auf konkrete Fragen der Reproduktionsmedizin und des Familienrechts beziehen.
Im Folgenden sollen die einschlägigen Textstellen dargelegt werden und soll dann darauf eingegangen werden, welche Zielvorgaben sich ergeben und welche Lösungsvorschläge von Seiten der Bundesregierung zu erwarten sind.
Die Zielvorgaben des Koalitionsvertrages
Die Bundesregierung hat in ihrem Vertrag fixiert:
1. Reproduktive Selbstbestimmung (Seite 116)
„Wir wollen ungewollt Kinderlose besser unterstützen. Künstliche Befruchtung wird diskriminierungsfrei auch bei heterologer Insemination, unabhängig von medizinischer Indikation, Familienstand und sexueller Identität, förderfähig sein. Die Beschränkungen für Alter und Behandlungszyklen werden wir überprüfen. Der Bund übernimmt 25 Prozent der Kosten unabhängig von einer Landesbeteiligung. Sodann planen wir, zu einer vollständigen Übernahme der Kosten zurückzukehren. Die Kosten der Präimplantationsdiagnostik werden übernommen. Wir stellen klar, dass Embryonenspenden im Vorkernstadium legal sind und lassen den ‚elektiven Single Embryo Transfer‘ zu.“ [1].
Die bisher geltende Rechtslage sieht dem gegenüber wie folgt aus:
Familienstand
Bisher war bei gesetzlich versicherten Paaren die Kostenübernahme für fortpflanzungsmedizinische Maßnahmen im engeren Sinne (Insemination, IVF/ICSI) nur möglich, wenn die Paare miteinander verheiratet waren.
Sexuelle Identität
Bisher war nur eine Kostenübernahme bei heterosexuellen Paaren bei Vorliegen einer medizinischen Indikation möglich. Nunmehr soll auch bei Vorliegen einer „sozialen Indikation“ sowie bei lesbischen Paaren eine künstliche Befruchtung finanziert werden. Unklar bleibt, ob dies auch die Behandlung von alleinstehenden Frauen mit heterologer Insemination einschließt.
Alter und Zahl der Behandlungszyklen
Bisher war die Kostenübernahme von gesetzlich versicherten Paaren nur möglich, wenn kumulativ zu Beginn von jedem Behandlungszyklus das Alter der Frau zwischen 25 und 40 sowie des Mannes zwischen 25 und 50 Jahren lag. Bei der künstlichen Befruchtung (IVF/ICSI) wurden nur drei Behandlungszyklen mit einer hälftigen Kostenbeteiligung des Paares bezahlt. Nach der Geburt eines Kindes wurden wiederum drei komplette Zyklen gewährt, sofern die weiteren gesetzlich und untergesetzlich festgelegten Voraussetzungen erfüllt waren.
Bewertung
Die vorgeschlagenen Veränderungen stehen im Einklang mit den Empfehlungen der Leopoldina (2019) [2]:
- Die Finanzierung reproduktionsmedizinischer Maßnahmen sollte unabhängig vom Familienstand erfolgen.
- Männer und Frauen < 25 sowie Frauen > 40 und Männer > 50 Jahren sollten nicht – wie bisher – generell von der Finanzierung von Maßnahmen der assistierten Befruchtung ausgeschlossen sein.
Bei den Altersgrenzen kann man sich an den vorliegenden Zahlen des Deutschen IVF-Registers (D.I.R 2021) orientieren. Zurzeit wird eine IVF- und ICSI-Behandlung außerhalb der beschriebenen Altersgrenzen wegen des Bezahlungsmodus relativ selten in Deutschland in Anspruch genommen [3].
Bei der ICSI-Behandlung (D.I.R 2021, Daten zu 2019) liegt die klinische Schwangerschaft pro Embryotransfer bei Frauen < 25 Jahren bei 39,4 %, also in einem sehr guten Bereich [3].
Zur oberen Altersgrenze: Die Schwangerschaftsrate pro Embryotransfer liegt bei 41-jährigen Frauen bei 20,6 %, bei 42-Jährigen bei 15,1 % und bei 43-Jährigen bei 11,1 % bei der ICSI-Methode.
Bei der IVF-Methode liegt sie bei 41-jährigen Frauen bei 20,8 %, bei 42-Jährigen bei 16,9 % sowie bei 43-Jährigen bei 10,4 % [3].
Nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs (2005) setzt die Leistungspflicht privater Krankenversicherungen u. a. voraus, dass bei Betrachtung ex ante von einer Schwangerschaftsrate von mindestens 15 % (Achtung: nicht Geburtenrate) auszugehen ist. Insofern wäre eine Orientierung an einem Alter von 42 Jahren zu diskutieren [4].
Die Formulierung im Koalitionsvertrag lautet jedoch sehr allgemein: „Wir wollen besser unterstützen […] und überprüfen“.
Kostenbeteiligung
Aufgrund der „Richtlinie des BMFSFJ über die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung von Maßnahmen der assistierten Reproduktion“ konnten ab 01.04.2012 Ehepaare und ab 07.01.2016 auch Paare in nicht ehelicher Lebensgemeinschaft über die „Bund-Länder-Kooperation bei der Förderung von Kinderwunschbehandlungen“ Zuschüsse beantragen. Das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) ist vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) mit der Umsetzung beauftragt worden [5].
Bisher hat sich eine Reihe von Bundesländern für diese Unterstützung entschieden. Allerdings trifft dies nicht für alle Bundesländer zu.
Der Bund soll nach dem Koalitionsvertrag in Zukunft 25 % der Kosten übernehmen, auch wenn sich einzelne Länder nicht beteiligen.
Zudem ist es geplant, zur vollständigen Übernahme der Kosten zurückzukehren, wie es vor dem 01.01.2004 der Fall war, so dass dann nicht nur 50 % der entstandenen Kosten übernommen werden, sondern alle Kosten von den Krankenkassen unter Berücksichtigung der übrigen sozialrechtlichen Regelungen getragen werden.
Die Leopoldina (2019) hat dazu festgehalten: „Um der bestehenden sozialen Ungleichheit beim Zugang zu Maßnahmen der Kinderwunschbehandlung entgegen zu wirken, sollten diese im vollen Umfang von der Versichertengemeinschaft finanziert werden, wenn sie medizinisch indiziert sind und eine realistische Aussicht auf Erfolg haben“. [2].
Präimplantationsdiagnostik
Die Präimplantationsdiagnostik ist in § 3a Embryonenschutzgesetz geregelt. Danach darf eine Präimplantationsdiagnostik nur bei hohem Risiko für eine schwerwiegende Erbkrankheit bei den Nachkommen oder bei einer hohen Wahrscheinlichkeit für eine Tot- oder Fehlgeburt durchgeführt werden.
Bisher werden die entstehenden Kosten für Stimulation und In-vitro-Fertilisation/ICSI-Verfahren von der Krankenkasse übernommen, wenn die juristischen und medizinischen Voraussetzungen erfüllt sind.
Die Kosten der Präimplantationsdiagnostik, die sich aus der Herstellung einer Gensonde sowie der Präimplantationsdiagnostik selbst zusammensetzen, werden dagegen nicht übernommen. Außerdem sind von der Antragstellerin die Kosten für das Verfahren bei der Ethikkommission zu tragen.
Nunmehr lautet die eindeutige Festlegung im Koalitionsvertrag: „Die Kosten der Präimplantationsdiagnostik werden übernommen“.
Auch die Leopoldina hat insoweit empfohlen:
- „In Zukunft sollte die Entscheidung über eine PID in der Arzt-Patienten-Beziehung unter Einbeziehung psychosozialer Beratung, aber ohne besondere Genehmigung durch eine Ethikkommission getroffen werden.
- In jedem Fall sollten die im Rahmen der PID anfallenden Kosten ebenso wie die der Pränataldiagnostik von der Versichertengemeinschaft übernommen werden.“ [2].
Embryospende
Eine Embryospende ist erlaubt, sofern sie nicht vor dem Entstehen des Embyos geplant ist. Man kann davon ausgehen, dass in Deutschland mehrere 10.000 Embryonen kryokonserviert werden, die später für den Transfer bei der betreffenden Frau zur Verfügung stehen. Zusätzlich dürften mehrere 100.000 Eizellen im Vorkernstadium (Pronukleusstadium) kryokonserviert sein. Nach der bisherigen Rechtsauffassung können nur Embryonen gespendet werden und nicht die Eizellen im Vorkernstadium. Dies soll nach den Plänen der Koalition geändert werden.
Auch die Leopoldina hat vorgeschlagen: „Vorkernstadien und Embryonen sollen bezüglich einer möglichen Spende rechtlich gleichbehandelt werden“. [2].
Elektiver Single-Embryo-Transfer
In Deutschland ist es nach dem Embryonenschutzgesetz verboten, geplantermaßen aus einer Vielzahl von entstandenen Embryonen den besten für den Transfer auszuwählen. Die Befruchtung muss vielmehr so durchgeführt werden, dass nicht von vornherein geplant zusätzliche Embryonen entstehen (Verbot der „Vorratsbefruchtung“).
Dies soll gemäß Koalitionsvertrag verändert werden, indem dort festgelegt ist: „Wir [...] lassen den elektiven Single-Embryo-Transfer zu“. [1].
Die Leopoldina (2019) hat insoweit vorgeschlagen: „Zur Begrenzung der Mehrlingsrate bei Maßnahmen der assistierten Befruchtung sollte der elektive Single-Embryo-Transfer (eSET), also die Auswahl des sich am besten entwickelten Embryos aus einer Mehrzahl von Embryonen, gefördert werden. Zu prüfen ist die Verknüpfung der Kostenübernahme mit einer möglichst niedrigen Zahl der transferierten Embryonen in Abhängigkeit vom Alter der Frau und der Anzahl bisheriger erfolgloser Versuche“. [2].
Eine ähnliche Forderung findet sich in dem Memorandum der Bundesärztekammer (2020) [6].
Zu erwartende Umsetzungen
Fragen der Finanzierung und insoweit der Beschränkungen aufgrund des Familienstandes, der medizinischen Indikation und der sexuellen Identität sowie des Alters und der Zahl der Behandlungszyklen können im GKV-System über § 27a SGB V und die „Richtlinien über künstliche Befruchtung“ geklärt werden.
Die zusätzliche Finanzierung des Bundes von 25 % der Kosten können über die Förderinitiative des Bundes und der Länder erreicht werden. Die vollständige Kostenübernahme bleibt aber in der Formulierung unbestimmt („planen wir“).
Die Kosten einer Präimplantationsdiagnostik ließen sich ebenfalls über § 27a SGB V und die „Richtlinien über künstliche Befruchtung“ regeln. Insoweit erfolgt im Koalitionsvertrag eine eindeutige Festlegung: „werden übernommen“.
Unklar bleibt allerdings, inwieweit die geplanten Änderungen auch Privatversicherten und Beihilfeberechtigten zugute kommen sollen.
Die Gleichstellung von Embryonenspende und Spende von Vorkernstadien sowie der elektive Single-Embryo-Transfer lassen sich nur über eine Änderung des Embryonenschutzgesetzes erreichen.
Die vergangene Bundesregierung hatte sich 2020 noch einmal mit der „Dreier-Regel und [dem] Single-Embryo-Transfer“ anlässlich einer „Kleinen Anfrage“ der Abgeordneten Katrin Helling-Plahr und der Fraktion der FDP beschäftigt [7]. Die Bundesregierung, antwortete:
„Die sogenannte ‚Dreier-Regel’ ergibt sich aus den Vorschriften des § 1 Absatz 1 Nummer 3 und Nummer 5 des Embryonenschutzgesetz (ESchG). Nach § 1 Absatz 1 Nummer 3 ESchG wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer […] es unternimmt, innerhalb eines Zyklus mehr als 3 Embryonen auf eine Frau zu übertragen. Diese Regelung hat der Gesetzgeber damit begründet, dass nach dem Stand der Wissenschaft und Praxis es nicht notwendig sei, mehr als 3 Embryonen zu übertragen und mehr als 3 Eizellen zu befruchten, um die Einnistungsmöglichkeiten zu optimieren.“ Weiter hielt die seinerzeitige Bundesregierung fest: „Eine Änderung des Embryonenschutzgesetzes ist für die 19. Wahlperiode nicht vorgesehen.“ (Deutscher Bundestag 2020) [7].
Der aktuelle Koalitionsvertrag dokumentiert somit eine neue Sichtweise der derzeitigen Bundesregierung.
2. Reproduktive Selbstbestimmung (Eizellspende und Leihmutterschaft, Seite 116)
„Wir setzen eine Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin ein, die Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches sowie Möglichkeiten zur Legalisierung der Eizellspende und der altruistischen Leihmutterschaft prüfen wird.“
Bisheriger Stand
Nach dem Embryonenschutzgesetz sind sowohl die Eizellspende als auch die Leihmutterschaft verboten.
Die Leopoldina hat in ihrem Papier von 2019 die Legalisierung der Eizellspende vorgeschlagen [2]. Ähnliches wird in dem Memorandum der Bundesärztekammer aus 2020 gefordert [6].
Zu Fragen der Leihmutterschaft hat sich die Bundesärztekammer (2020) nicht geäußert. Die Leopoldina hat sich in ihrer Stellungnahme [2] dagegen auch mit den medizinischen Grundlagen der Leihmutterschaft, dem rechtlichen Rahmen sowie dem ethischen Hintergrund befasst. Sie hat dabei zwei Handlungsoptionen festgehalten:
Im Falle der Aufrechterhaltung des Verbots soll es bei den im Ausland nach dortigem Recht legalerweise von einer Leihmutter geborenen, jedoch in Deutschland aufwachsenden Kindern zu einer eindeutigen rechtlichen Zuordnung des Kindes zu den Wunscheltern kommen.
Für den Fall einer Erlaubnis der Leihmutterschaft wurde u. a. vorgeschlagen:
- „Lediglich eine angemessene Aufwandsentschädigung“.
- „Eine sorgsame Auswahl der Leihmutter nach medizinischen und psychosozialen Kriterien wird sichergestellt“.
- „Die Leihmutter sollte nach der Geburt innerhalb einer Bedenkzeit von wenigen Wochen über die Abgabe des Kindes an die Wunscheltern entscheiden können“.
- „Das Verfahren einer Leihmutterschaft muss in eine umfassende medizinische und psychosoziale Vorbereitung und Begleitung eingebettet sein“.
- „Begleitforschung aus medizinischer und psychosozialer Perspektive sollte durchgeführt werden“. [2].
Zu erwartende Umsetzung
Es ist am ehesten davon auszugehen, dass dieser Komplex zur Bearbeitung einer Enquetekommission übertragen wird.
Im Koalitionsvertrag zur 18. Legislaturperiode „Deutschlands Zukunft gestalten, Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD“ vom 27.11.2013 wurde damals noch festgehalten: „Die Leihmutterschaft lehnen wir ab, da sie mit der Würde des Menschen unvereinbar ist.“ [8].
Insofern hat sich hier offensichtlich eine grundlegend andere Sichtweise ergeben.
3. Familienrecht (Seite 101)
„Wenn ein Kind in die Ehe zweier Frauen geboren wird, sind automatisch beide rechtliche Mütter des Kindes, sofern nichts anderes vereinbart ist. Die Ehe soll nicht ausschlaggebendes Kriterium bei der Adoption minderjähriger Kinder sein.
Auch außerhalb der Ehe soll die Elternschaftsanerkennung unabhängig vom Geschlecht der anerkennenden Person oder von einem Scheidungsverfahren möglich sein. Wir werden ein statusunabhängiges Feststellungsverfahren einführen, in dem ein Kind seine Abstammung gerichtlich klären lassen kann, ohne zugleich die rechtliche Elternschaft anfechten zu müssen. Das Samenspenderregister wollen wir auch für bisherige Fälle, private Samenspenden und Embryonenspenden öffnen.“ [1].
Aktueller Stand im Familienrecht
Nach bisherigem Familienrecht kann ein Kind nur einen (männlichen) Vater und eine (weibliche) Mutter haben. Eine rechtliche Ko-Mutterschaft durch Eheschließung oder Anerkenntnis ist bisher nicht vorgesehen.
Das Adoptionsrecht geht in der Regel davon aus, dass ein fremdes, nicht leibliches Kind von Ehegatten gemeinsam adoptiert wird.
Die Annahme nur durch einen Ehegatten ist möglich, wenn entweder bei einer Stiefkind-Adoption der Annehmende das 21. Lebensjahr vollendet hat oder bei der Adoption eines fremden Kindes der andere Ehegatte geschäftsunfähig ist oder das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hat und der Annehmende das 25. Lebensjahr vollendet hat. Die Annahme eines fremden Kindes durch eine unverheiratete Person ist nur allein möglich und die annehmende Person muss das 25. Lebensjahr vollendet haben.
Das Samenspenderregister ermöglicht eine effektive Durchsetzung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung nur, wenn der Samen nach Inkrafttreten des Gesetzes (01.7.2018) gespendet wurde oder der Samen zwar bereits zuvor gespendet worden war, die heterologe künstliche Befruchtung jedoch zum Stichtag noch nicht durchgeführt worden ist. Zudem erfasst das Register nur die heterologe Verwendung von Samen bei einer ärztlich unterstützten künstlichen Befruchtung, also nicht jene im sogenannten „privaten System“. Des Weiteren enthält das Register keine Angaben über die Abstammung nach einer Embryospende und Vorkernspende.
Zu erwartende Umsetzung
Zu erwarten sind Änderungen des Familienrechts im BGB, des Adoptionsrechts und des Samenspenderregistergesetzes.
Offene Fragen
1. Mehr als merkwürdig ist die im Koalitionsvertrag vorgesehene Reihenfolge zur Legalisierung der Eizellspende und dabei auch zur Terminologie, die völlig vom geltenden Recht abweicht: Während zur „Embryonenspende im Vorkernstadium“ sofort „klargestellt“ werden soll, dass sie legal ist, soll die Legalisierung der Eizellspende einer Kommission überantwortet und damit auf die lange Bank geschoben werden. Dabei kennt das geltende Embryonenschutzgesetz überhaupt keinen „Embryo im Vorkernstadium“. Als Embryo bezeichnet das Gesetz in § 8 vielmehr die befruchtete Eizelle ab der Kernverschmelzung. Der „Embryo im Vorkernstadium“ ist nichts anderes als eine „Eizelle“ im Sinne des Gesetzes, und wenn diese im Befruchtungsvorgang befindliche Eizelle gespendet (oder in Spendeabsicht aufgetaut und weiterkultiviert) wird, handelt es sich rechtlich gesehen um eine bisher verbotene Eizellspende [9, 10]. Wie die Spende einer solchen im Befruchtungsvorgang befindlichen Eizelle also legalisiert werden kann, ohne zugleich die Spende einer Eizelle, in die noch kein Samen eingedrungen oder eingebracht wurde, ebenfalls zu legalisieren, ist völlig unklar. Soll speziell für den Bereich der Spende eine neue, dem Embryonenschutzgesetz bisher fremde dritte Kategorie neben der Eizelle und dem Embryo eingefügt werden? Oder muss man gar befürchten, dass die im Befruchtungsvorgang befindliche Eizelle dem Embryo gleichgestellt wird, so dass (wie beim Embryo) keine Vorratsherstellung und keine Forschung damit mehr erlaubt ist, sowie eine genetische Untersuchung dieser Eizelle künftig eine (von einer Genehmigung abhängige) PID ist?
2. Obwohl im Koalitionsvertrag viele Punkte für eine Diskussion und Neuregelung angestoßen werden, bleibt einiges nicht erwähnt:
Bezahlung der Kryokonservierung von Vorkernstadien und Embryonen
Die Kryokonservierung von Vorkernstadien und Embryonen ist international mittlerweile als Teil der Routineversorgung anzusehen. Die Bezahlung muss aber in Deutschland (mit Ausnahme einiger Privatversicherungen) komplett selbst getragen werden. Im Jahre 2020 [3] wurden bei der IVF-Behandlung 30.071 Eizellen im Vorkernstadium und 6463 Embryonen sowie bei der ICSI-Methode 70.450 Eizellen im Vorkernstadium und 16.655 Embryonen kryokonserviert.
Aus diesen Zahlen ergibt sich, dass dies auch in Deutschland Bestandteil der Routineversorgung geworden ist.
Mittlerweile gleichen sich nicht nur die Schwangerschaftsraten, sondern auch die Lebendgeburtenraten pro Transfer den Erfolgsraten der „Frischzyklen“ an. In der Betrachtung der Schwangerschaftsausgänge 2019 [3] ergab sich eine Lebendgeburtenrate pro Transfer bei den Frischzyklen von 23,1 % und bei den Auftauzyklen von 20,3 %.
Der Kryotransfer bedarf entweder keiner hormonellen Vorbereitung oder einer niedrig dosierten Vorbereitung mit Östrogen- und Progesterontabletten. Insofern ist auch der Stress der Behandlung im Vergleich zu einer Stimulationsbehandlung mit Eizellentnahme deutlich geringer.
Es würde sich daher empfehlen, auch die Kryokonservierung und den anschließenden Kryotransfer in die Überlegungen zur Bezahlung über die gesetzliche Krankenversicherung mit einzubeziehen.
Reduktion der Mehrlingsrate
Die Mehrlingsrate nach extrakororaler Befruchtung ist in Deutschland weiterhin sehr hoch. In den frischen Behandlungszyklen 2019 [3] gab es eine Zwillingsrate pro Geburt von 17,8 % und eine Drillingsrate von 0,5 %. Dieses ist im Vergleich zum Ausland weiterhin auffallend hoch. Die Ursache liegt auch darin, dass Paare aus finanziellen Gründen eher einen Transfer von 2 Embryonen wünschen, weil sie eine leicht höhere Geburtenrate im Vergleich zum Transfer von einem Embryo erwarten können. Ebenso sind diese Wünsche der Paare als Konsequenz einer eingeschränkten Bezahlung (Verheiratetenstatus; 50 % Eigenanteil bei den Ehepaaren) zu sehen.
Beispiele aus dem Ausland (Belgien) können zeigen, wie diese Probleme über staatliche Vorgaben zur Bezahlung geregelt werden, wenn bei bestimmten Altersgruppen (z. B. Frauen < 36 Jahren) im ersten oder zweiten Versuch nur ein Embryo transferiert wird. Ansonsten übernimmt der Staat diese Behandlungskosten nicht. Dies führte in Belgien (wie auch in anderen Ländern) zu einer deutlichen Reduktion der Mehrlingsrate [2].
Insofern ist eine Verbindung der Finanzierung mit einer Förderung des Single Embryo-Transfer zur Vermeidung einer hohen Mehrlingsrate sinnvoll.
Anforderung an die medizinische und psychosoziale Beratung bei fremden Gameten und Embryonen
Die IVF-Behandlung ist insbesondere für die Patientin mit physischer und psychischer Belastung verbunden. Die Erwartung eines Erfolges ist hoch, wird aber oft enttäuscht. Insofern ist eine Beratung insbesondere zu den medizinischen Aspekten (physische Belastung, Erfolge) und die psychosoziale Belastung (hohe Erwartungen und Enttäuschungen) wesentlich.
Diese Beratung erfolgt in erster Linie durch die Reproduktionsmediziner nach den Richtlinien der Bundesärztekammer (2018) [11].
Unabhängig von der medizinischen Therapie ist eine behandlungsunabhängige psychosoziale Beratung mittlerweile ein Teil der Versorgung geworden. Die Notwendigkeit dieser behandlungsunabhängigen Beratung ergibt sich insbesondere bei der Behandlung mit fremden Gameten (Eizellen und Samenzellen) sowie bei der Embryospende.
Dies ist zum jetzigen Zeitpunkt weder über die entsprechenden Richtlinien noch von den Aspekten der Bezahlung her geregelt.
Die Leopoldina hat in ihrer Stellungnahme (2019) empfohlen: „Bei Kinderwunschbehandlungen unter Beteiligung Dritter (z. B. Samenspender, Eizellspenderin) sowie vor Durchführung einer PID muss das Angebot einer unabhängigen psychosozialen Beratung verpflichtend sein.
Die psychosoziale Beratung sollte über die Versichertengemeinschaft finanziert werden.“ [2].
Die näheren Regelungen dazu könnten über die „Richtlinien über künstliche Befruchtung“ auf der Grundlage von § 27a SGB V erfolgen [12].
Sicherstellung der Datenerfassung und Qualitätskontrolle
Das Deutsche IVF-Register erfasst auf freiwilliger Basis die medizinischen Daten der IVF-/ICSI-Behandlung und dokumentiert dies in einem jährlichen Bericht.
Die Finanzierung erfolgt über die Zentren selbst, wobei über 130 Zentren ihre Daten der Qualitätskontrolle zur Verfügung stellen.
Hierzu hat die Leopoldina (2019) empfohlen: „Die zur Beurteilung und Sicherung von Qualität und Innovation erforderlichen Daten reproduktionsmedizinischer Behandlungen und ihrer langfristigen Folgen sollten umfassender als bisher und prospektiv bei einer geeigneten Stelle zentral erfasst, ausgewertet und bereitgestellt werden.“ [2].
Statt einer Dokumentation und Finanzierung auf privater Grundlage sollte dieses also über eine geeignete (z. B. staatlich beaufsichtigte) Stelle erfolgen.
Eine adäquate Lösung würde sich über die „Richtlinien über künstliche Befruchtung“ auf der Grundlage von § 27a SGB V ergeben, alternativ über die Bundesärztekammer.
Forschung mit Embryonen
Wie oben dargelegt, gibt es in Deutschland eine Vielzahl von Embryonen, die im Rahmen einer fortpflanzungsmedizinischen Behandlung entstanden sind, aber nicht mehr verwendet werden, zumeist weil die Familienplanung der betreffenden Paare abgeschlossen ist. Diese sogenannten überzähligen Embryonen können bislang nur verworfen werden oder – allerdings ohne genaue rechtliche Vorgaben – für andere Kinderwunsch-Paare gespendet werden. Eine dritte, in vielen Ländern mögliche Option, solche Embryonen für hochrangige Forschungsziele zur Verfügung zu stellen, besteht derzeit nicht. Denn das Embryonenschutzgesetz (§ 2 Abs. 1) verbietet jede Verwendung eines Embryos für einen nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck.
Aus der Wissenschaft (Leopoldina 2021) wird immer drängender gefordert, Forschung an frühen Embryonen in vitro im Einklang mit internationalen Standards und innerhalb bestimmter Grenzen zu erlauben [13]. Zu dieser Frage äußert sich der Koalitionsvertrag nicht.
Fazit
Offene Fragen der Reproduktionsmedizin wurden von den letzten Bundesregierungen nicht grundlegend und umfassend angegangen.
Die neue Bundesregierung hat nunmehr ihre Absicht bekundet, einige Veränderungen zu veranlassen, unter anderem bezüglich der finanziellen Unterstützung von Kinderlosen. Dies betrifft auch die Behandlung lesbischer Paare sowie die bisherigen Beschränkungen hinsichtlich der Altersgrenzen und der Zahl der Behandlungszyklen. Es wird auch überlegt, zu einer vollständigen Übernahme der Kosten zurückzukehren. Die Kosten der Präimplantationsdiagnostik sollen übernommen werden.
Fragen grundlegender Art sollen neu diskutiert werden, z. B. die grundsätzliche Ermöglichkung des elektiven Single-Embryo-Transfers sowie eine Eröffnung der Diskussion über Eizellspende und Leihmutterschaft. Insgesamt gesehen sind das positive Schritte der neuen Bundesregierung. Ihnen sollten weitere folgen.
Interessenkonflikt
Keiner.
Literatur:
1. Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FPD Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. 24.11.2021. https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2021-2025.pdf
2. Leopoldina. Fortpflanzungsmedizin in Deutschland – für eine zeitgemäße Gesetzgebung. 2019. https://www.leopoldina.org/uploads/tx_leopublication/2019_Stellungnahme_Fortpflanzungs
medizin_web_01.pdf
3. DIR Jahrbuch 2020. J Reproduktionsmed Endokrinol 2021; 18 (SH 3): 1–60.
4. Bundesgerichtshof. Urteil vom 21.09.2005 IV ZR 113/04. MB/KK 94 § 1 Abs. 2 Satz 1. Zur Erstattungsfähigkeit der Kosten einer auf die Geburt eines zweiten Kindes abzielenden homologen In-vitro-Fertilisation (IVF) mit intracytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI) in der privaten Krankenversicherung.
5. Richtlinie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend über die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung von Maßnahmen der assistierten Reproduktion vom 29. März 2012, zuletzt geändert am 23. Dezember 2015. http://www.
verwaltungsvorschriften-im-internet.de/bsvwvbund_29032012_
41487300000105.htm
6. Bundesärztekammer. Dreierregel, Eizellspende und Embryospende im Fokus – Memorandum für eine Reform des Embryonenschutzgesetzes. Dtsch Ärztebl 2020; 117(37): A-1712/B-1464 https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/MuE/2020-09-11_Memorandum_DAEB_final.pdf
7. Deutscher Bundestag. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Katrin Helling-Plahr … und der Fraktion der FDP Drucksache 19/24158. https://dserver.bundestag.de/btd/19/241/1924158.pdf
8. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD. 18. Legislaturperiode. 27.11.2013. Deutschlands Zukunft gestalten. https://cdu.de/sites/default/files/media/dokumente/koalitionsvertrag.pdf.
9. Taupitz J. 2-PN-Spende nicht strafbar – „Kuckucksei“ für die Fortpflanzungsmedizin? J Reproduktionsmed Endokrinol 2019; 16: 74–8.
10. Bayerisches Oberstes Landesgericht , Urteil vom 04.11.2020 – 206 St RR 1459/19-1461/19, https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2020-N-32545?hl=true
11. Bundesärztekammer. Richtlinie zur Entnahme und Übertragung von menschlichen Keimzellen im Rahmen der assistierten Reproduktion. Deutsches Ärzteblatt 2022; 119: A1–A31.
https://www.aerzteblatt.de/pdf.asp?id=223879.
12. „Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung („Richtlinien über künstliche Befruchtung“) in der Fassung vom 14. August 1990 veröffentlicht im Bundesarbeitsblatt 1990, Nr. 12 zuletzt geändert am 16. Dezember 2021 veröffentlicht im Bundesanzeiger (BAnz AT 08.02.2022 B3) in Kraft getreten am 9. Februar 2022. https://www.g-ba.de/downloads/62-492-2746/KB-RL_2021-12-16_iK-2022-02-09.pdf
13. Leopoldina. Neubewertung des Schutzes von In-vitro-Embryonen in Deutschland. 2021. https://www.leopoldina.org/uploads/tx_leopublication/2021_Stellungnahme_Embryonenschutz_web.pdf
Alle Links zuletzt gesehen: 04.04.2022.